Drei Termine bestimmten seit jeher das Jahresrund eines österreichischen Kindes. Erwachsene waren immer mit dabei, denn die Kohorte der Erziehungsberechtigten lieferte Logistik, Ritual und Zubehör. Ohne Erwachsene wäre kein Christkind gekommen, kein Osterhase und auch Wichtigkeitspunkt drei wäre ausgeblieben. Die Trias des Österreichkindes waren: Weihnachten, Ostern und der Jahreserstaushang der Eiskarte. Jedes Jahr gab es eine neue. Sie war blau wie ein Postkartenhimmel, übersät mit kostbar buntem Lutscher-Talmi. In Jahren großen Glücks verblüffte die Eiskarte nicht nur mit Preiserhöhungen, sondern auch mit dem Erscheinen neuer Sorten. Wie bei den anderen Geschenkefesten sorgte ein magisches Zusammenspiel zwischen Erwachsenen (Geldgebern), Kindern (Wünschelieferanten) und einer Transzendentalinstanz für das Gelingen. Die Rolle von Christkind und Osterhasen nahm der lokale Eistruhenbesitzer ein, der Wirt vom Ausflugslokal, die Betreiberin der Freibadbar, oder der Kleinversorger am Dorfplatz. Einen ganzen Sommer lang.
Kein Kindergehirn hätte sich je etwas wie das doppelstängelige Zwillingseis Twinni ausdenken können, niemals Namen und Form des Vanilleschleckers Tschisi, oder die ausserirdischen Geräusche, die der Nachschiebelutscher Paiper erzeugte. Sowas dachten sich Erwachsene aus, die sich in monatelangen Sitzungen in die Vorstellungswelten von Kindern versetzten.
Gibt es diese Welt nicht mehr? Oh doch. Eis gibt es mehr als je zuvor. Das ganze Jahr hindurch. Aber die Eiskarten sind verschwunden. In Rand am Walde, hinter den sieben Bergen gibt es einen Wirten, der hat noch eine. Eine alte. Ganz blass ist sie.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 4. Juni 2022.