Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 14/2022 zum 6. April 2022
Liebe Frau Andrea,
seit geraumer Zeit sammle ich mehr oder weniger kuriose Wörter beziehungsweise Ausdrücke auf einem Zettel, der auf meinem Computermonitor klebt. Der Zettel ist voll und klebt nicht mehr – Zeit Ihnen endlich zu schreiben. Warum heißt die Wochenzeitung Falter eigentlich Falter? Ich würde mich über Aufklärung freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Rita Scherzinger, Wien, Innere Stadt, per Email
Liebe Rita,
der Blick auf die Logo-Chimäre des Falter (ein Weißkopfseeadler mit rechtsseitigem Schmetterlingsflügel) täuscht, der Name der Publikation, die Sie gerade in Händen halten, hat nur scheinbar mit fliegenden Insekten oder dem amerikanischen Wappenvogel zu tun. Das Logo entstand erst 2008, im Rahmen eines großen Relaunches.
Der erste Falter erschien am 31. Mai 1977, vor nun fast 45 Jahren. Er war mehr Flugblatt als Zeitschrift, auf einer Kugelkopfschreibmaschine gesetzt, mit Schere und Klebestift gelayoutet, und auf billigem Papier gedruckt. Auf zwölf Seiten breiteten sich comicartige Textcollagen aus, jede einzelne von Künstlern gestaltet. Durchgängiges grafisches Konzept war das Fehlen eines solchen, keine Seite glich der anderen, das Logo änderte sich von Heft zu Heft. „Lässig“ nannte man das damals, am Höhepunkt der Kreiskyzeit. In den Nachwehen der Arena-Besetzung gegründet, verstand sich der Falter als antibürgerliche Programmzeitschrift für Wien. Es ging um Gegenpole zur Hochkultur, um „Cafés nach zwölf“, „Lokale mit Programm“, um Initiativen, Buchhandlungen, Theater, Kinos, um eine alternative kulturelle Topografie der Stadt. Von der ersten Ausgabe wurde im Handverkauf etwa 1700 Exemplare verkauft, damit konnte die erste Druckrechnung bezahlt werden.
Nach der Legende wurde der Titel „Falter“ vor dem Weinhaus Sittl geboren, dort verkehrte die Gründungsmannschaft, bei serbischer Bohnensuppe und Wiener Beuschel. Der Name soll sich, wie Eingeweihte kolportieren, auf die Tücke des Objekts bezogen haben. Das Heft sah aus, als hätte es A4-Format, tatsächlich war es im Format A3 gestaltet. Um es zu lesen musste man es entfalten und drehen.
Genaugenommen müsste die Stadtzeitung also „Entfalter“ heißen.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina