Kaum ein Sinneseindruck (das Hören von Blasmusik ausgenommen) hat in Österreich größere Bedeutung als das Farbsehen. In der Zeit der Scharzweiß-Television kompensierte man die Sehnsucht nach der Farbe mit transparenten Folien, die auf die Bildschirme geklebt wurden. Oben ein blauer Streifen für den Himmel, unten ein grüner für die Wiese. Bei Heimatfilmen stimmte das Konzept. Nur im Winter störte der untere Streifen. Schirennen im Grünen vertrug die österreichische Seele schlecht.
Farben sind untrennbar mit der österreichischen Erinnerungskultur verbunden. Ein Großblitz der Farbfreude schlug in die Nation, als der Mosswalder Abfahrtsheld Franz Klammer bei den Olympischen Winterspielen 1976 in Innsbruck den Patscherkofel talwärts raste. Die Fahrt dauerte nur bange 1:45,73 Minuten. Das genügte, um das fahle Gelb seines Renndress‘ mit Größe und Ruhm zu verbinden. Klammerfranze zu Ehren werden die Dotter österreichischer Hotel-Eier auf exakt diese Farbe hin gekocht: Das fahle Gelb siegenden Glücks. Die Rennanzugfarbe des besiegten Schweizers Bernhard Russi (rot mit weißen Seitenstreifen) blieb niemand in Erinnerung. Die zweitwichtigste Farbe des Landes hat der andere Sportheld des Landes, Niki Nazionale tief in unsere Netzhäute gebrannt. Es ist das knallende Rot seines Dienst-Käppis.
Auch politischen Akteuren ist die Kraft der Farbe nicht verborgen geblieben. Grüne und Blaue werden in der Landstube sozialisiert, dort, wo Opas Fernseher mit den Farbfolien stand. Anthropologen und Farbpsychologen werden einst erkunden, wie das mit Türkis war. Damals, als man noch an diese Farbe glaubte.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 5. Februar 2022.