Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 03/2022 zum 19. Jänner 2022
Liebe Frau Andrea,
woher kommt es, dass Immigranten aus Bundesländern westlich des Wienerwaldes die Öffis zunehmend falsch gendern? Deutsche machen das sowieso, aber wieso auch Ösis? Immer öfter höre ich Sachen wie „nimm doch die Zwei und steig beim Stubentor aus“, oder „die 43er kommt schon wieder nicht daher“. In meiner Welt (ich darf mich als echte Wienerin outen) ist das „der“ 2er oder Zwara und „der“ 43er. Straßenbahnen sind weiblich. Wie sehen Sie das?
Mit besten Grüßen,
Sabine Keybel, Neubau, per Email
Liebe Sabine,
ich bin ganz bei Ihnen. Sehen wir uns die Sache aus wienerischer Perspektive an. Wie Sie richtig bemerken, bezeichneten man in Wien Straßenbahnzüge traditionell männlich. Man fährt im 31er, im 46er, im 71er. In den Buchstabenlinien (früher gab es wesentlich mehr von ihnen) gibt es Hinweise auf den Grund für den maskulinen Genus. Man spricht vom D-Wagen, sprach vom N-Wagen und vom O-Wagen. Das grammatikalische Geschlecht des Transportmittels Wagen war auf die Linien übertragen worden, auf denen die Wägen verkehrten. Vor der Elektrifizierung waren es pferdegezogene Wägen, die auf den Gleisen verkehrten. Die Linien selbst (und die meisten ihrer Endstationen) sind noch älteren Datums. Auf ihnen verkehrten, noch vor dem Bau eines Schiennetzes für die Pferdetramway, die sogenannten Stellwägen. Kleine, von Pferden gezogene, aber schon straßenbahnartige Fuhrwerke für eine kleine zweistellige Fahrgastanzahl.
Im Bus, sprachlich aus Omnibus (lateinisch „für alle“) entstanden, sehen wir die zweite Traditionslinie des öffentlichen Verkehrs in Wien. Weil Bus maskulinen Genus‘ ist, werden auch die Fahrzeuge selbst nach ihren Linien bezeichnet. Wienweit sprechen wir also vom 3A, vom 5A, vom 13A. Linienbusse von Privatunternehmern tragen den Suffix B.
Die Züge der Wiener U-Bahnlinien sind weiblichen Geschlechts. Wir fahren, auch wenn wir den Wagon bezeichen, in dem wir uns befinden, von „der U2“, der „U4“, der „U6“.
Taxis hingegen sind sächlichen Geschlechts, während man (zu Zeiten seiner Konjunktur) auch in Wien „einen“ Uber bestellte.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina
Liebe Frau Dusl,
leider ist der Satz ‚Linienbusse von Privatunternehmern tragen den Suffix B.‘ seit ein paar Jahren nicht mehr korrekt.
Die Wiener Linien haben dieses Unterscheidungsmerkmal, genauso wie viele andere praktische Dinge, leider aufgegeben (beziehungsweise noch schlimmer, für etwas anderes verwendet ohne es den ‚Usern‘ mitzuteilen).
So fahren zum Beispiel die Linien 46A und 46B auf den Wilhelminenberg. Beide werden von Privatunternehmern betrieben. Die Suffixe deuten hier auf die Fahrtrichtung hin. Wobei A gegen und B mit dem Uhrzeigersinn fährt. Es finden sich noch viele andere Linien in Wien wo die Suffixe neue Verwendungsgebiete finden.
Mit besten Grüßen
Florian Klein
Liebe Frau Andrea!
Ausnahmsweise ein Erratum:
Dass städtische Buslinien mit A und private mit B gekennzeichnet werden, ist nicht mehr aktuell. Seit 2015 liegen die Konzessionen aller A- und B-Linien bei den Wiener Linien, sodass kein Unterschied mehr erforderlich ist. Privatunternehmen kommen nur mehr als Subunternehmen zum Einsatz (sowohl auf manchen A- als auch auf manchen B-Linien).
Eine Mischform beim Gendern von Tramlinien zwischen Deutschland („die 1“) und Wien („der 1er“) gibt es übrigens in Innsbruck: dort heißt es „die 1er“.