Im Covid-Rad

„Jo, mia san min Radl do“ gilt als eine der heimlichen Hymnen Österreichs. Das Original wurde 1971 von der Volksmusikkapelle „Wachauer Buam“ eingespielt, in einer Zeit des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs. Der launige Text und die eingängige Melodie wurde schlagartig zum Gassenhauer und begleitete die Trimm-Dich und Fit-Mach-Mit-Bewegung, die 1972, im Sog der Olympischen Spiele in München zusätzlich Fahrt und Bedeutung aufnahm.

Unter der Ägide des gemütlichen Sportministers (und späteren Bundeskanzlers) Fred Sinowatz wurde auch Österreich massensportlich. Die gute alte Wanderung wurde zum modernen Fitmarsch hochgebürstet. Wer Sehnsucht nach Fahrtwind hatte, stieg aufs Fahrrad. Der Drahtesel mutierte vom rostigen Billigtransporter zum trendigen Gesundheitsgerät. Wer mit dem Radl da war, war Aktivist des Wohlbefindens und Held der Volksgesundheit. Auch Senioren und Blade durften in die Pedale treten und ein rapide wachsendes Radwegenetz mit Fahrten zum Ausflugsgasthaus beseelen. Jetzt war auch Zeit für ein neues Getränk: Den Radler, ein gesundes Mischgetränk aus Bier und Almdudler.

Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus verwandelte sich die Gesundheit in ein Geschäft. Der Sport zog in die Büros und Arbeitsstätten. Sieger waren gefragt. Die Schnellsten und Ausdauerndsten wurden Chef. Das Volk trat im Dienstrad in die Pedale. Dem Kreislauf der Produktionsabläufe gesellte sich vor nunmehr zwei Jahren eine neue Tretmühle hinzu: Das Covid-Rad. Es dreht sich immer schneller. Sport ist das keiner. Eher schon harte Arbeit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 4. Dezember 2021.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert