Die Geschichte der österreichischen Erkrankungen ist eine Geschichte voller Missverständnisse. In Österreich fürchtet man sich stets vor dem Ungefährlichen, dem Harmlosen und Gutartigen, keine Angst hat man vor tatsächlicher Gefahr. In einer Heldenerzählung könnte man das Mut nennen, allenfalls auch gespenstischen Leichtsinn, aber Östereich ist keine Heldenerzählung, sondern ein lustiges Märchen voll unvorsehbarer Wendungen. Die Wendungen sind in der Regel solche zum Schlechteren. Wir alle kennen die schlimmste Krankheit, die den österreichischen Menschen befallen kann, diesmal ist damit ungegendert und exklusiv der österreichische Mann gemeint. Der GAU, der Größte Anzunehmende Unwohlzustand ist der Männerschnupfen. Er stellt ein Leid dar, das Betroffene siechend ans Lager fesselt, wie andernorts nur die schlimmsten Pestilenzen. Wenn nun diesorts tatsächlich eine schlimme Seuche grassiert, nennen wir sie Covid, Corona, Ischglfieber, winken die Männerschnupfengeplagten wissend ab. Nicht so schlimm, sagen sie, keine Gefahr, mit einem gestählten Immunsystem ist das ein unspürbarer Klacks, ein Nichtgeschehen, ein plandemisches Phantomereignis. Der männerschnupfengewohnte Stahlkörper des Heldenösterreichers widersteht ausländischen Viren jederzeit. Erfundenen, eingebildeten und übertriebenen sowieso. Und jederzeit findet sich ein Feinstoff-Arzt oder ein Ganzheits-Psychologe, der mit Rat und Tat (sprich mit YouTube-Video) den Beweis antritt, wie ungefährlich das Gefährliche ist und wie gefährlich das Ungefährliche.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 16. Oktober 2021.