Das Geschäft lag unten an der Ecke. Es war eine traurige Mischung aus Greißlerei und Selbstbedienungsladen, aber alle nannten es nach dem Vornamen seines Betreibers: Luisl. Der Luisl war ein hagerer Vorkriegscharakter unbestimmten Alters. Er trug einen speckigen blauen Arbeitsmantel und lief in künstlicher Kontroll-Aufregung vornübergebeugt in seinem Laden herum. Der Luisl hatte große (aber eingebildete) Angst vor Ladendieben. Das Angebot in seinem schlecht beleuchteten Laden war überschaubar. Ungewaschenes Gemüse in dreckigen Steigen, im surrenden Kühlregal Butter, Milch und Schlagobers. In den Regalen Reis, Mehl, Hefe, Salz, und die Delikatessen der 60erjahre: Sardinen und Sardellenringe. Hinter einer schlechtgeputzen Vitrine stellte sich der Luisl auf, wenn man ihn zur Wurst rief. Drei Sorten gab es. Krakauer, Wiener und Extra.
Meine Großmutter war drei Köpfe kleiner als der Luisl. Was kriegma?, fragte der Luisl. Extra, sagte die Großmutter dann, siebeneinhalb Deka (zu Lebzeiten meines Großvater waren es noch 15 gewesen). In großer Ruhe schnitt der Luisl dann ein paar dünne Räder von der Wurst, sortierte sie mit knochigen Fingern und legte sie auf die Waage. Was genau der Luisl da maß, blieb unergründlich, das Zeigerfeld seiner Waage war hinter Gurkengläsern und Weinbrandflaschen verborgen. Bei jedem Wägevorgang war aber stets des Luisls linker Daumen dabei. Soda, sagte der Luisl dann, wischte sich die Finger in seinem Mantel ab, faltete Wurst und Fettpapier zu einem dünnen Paket und schrieb mit blauem Kugelschreiber vier dreissig darauf. Oder irgendwas anderes, was ihm gerade einfiel.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 9. Oktober 2021.