Scherben-Allerlei aus der Wiener Küche

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 39/2021 zum 29. September 2021

Liebe Frau Andrea,
höchst verehrte Comandantina! Ich habe mich letztens dabei erwischt, wie ich ein Gschirrl, also gefühlsmäßig etwas zum Aufbewahren von Nahrung, als Tegerl (Degerl?) bezeichnet habe, weil es einen Deckel hatte. Lassen sich meine Emotionen in der Realität abbilden?
Herzliche Grüße,
Barbara Geist, per Email

Liebe Barbara,

sehen wir uns Ihre Gschirrl (Geschirrteile) genauer an. Den Topf-Deckel, er war einst viel wichtiger als heute, spricht das alte Wienerisch Deckl aus. Er hat etymologisch keinen Bezug zum Dégal, dem kleinen Dégl, hochdeutsch Tiegel. Letztere bezeichnen einen irdenen Topf. Obwohl eine Verwandtschaft mit lateinisch tegula (Bratpfanne) nahe liegt, kommt er wohl eher von Tegel, Ziegel, mittelhochdeutsch tâhe, Lehm. Zerbrechliches aus gebranntem Ton kennt das Wienerische als Scheam (Scherben), ein sanitärer Nachhall liegt im Nochdscheam (Nachttopf) vor.

Zurück in die Küche. Zum Topf, wienerisch Dopf (Mehrzahl Depff, Verkleinerung Depfal) sagen die Wiener·innen auch Hefm. Kleinere Hefm kennen wir als Heferl (Henkelbecher), insbesondere als Kaffeehäferl. Das Wort ist verwandt mit seinem Erzeuger, dem Hafner oder Töpfer. Weil in Hefm auch das Schmalz aufbewahrt wurde, zirkuliert das Wort in der Gaunersprache, wo der Hefm als Gefängnis gilt, in dem die Strafe (das Schmoids, Schmalz) abgesessen wird. Autonarren bezeichnen die Zylinder ihrer Motore als Häferl, Ungeduldige gelten als Häferl (die beim Kochen leicht übergehen).

Ein anderes wichtiges Kochgefäß ist das Reindl (der kleine, flache Kochtopf), sein Diminuitiv ist die Rein (bundeshochdeutsch: Kasserolle). Das Reindl hat sich in der Bezeichnung Jonasreindl für das unterirdische Verkehrsbauwerk Schottentor sedimentiert. Franz Jonas war als Wiener Bürgermeister Bauherr.

Fehlen uns noch ein paar blecherne Gschirrln. So der Aumpa, das längliche, tragbare Gefäß aus Holz oder Blech zum Transport von Flüssigkeiten, verwandt mit lateinisch Amphora. Die Bidschn ist die Blechkanne, verwandt mit hochdeutsch Bottich. Die Kanne kennen Wiener·innen als Khaun(d)l, die Pfanne als Bfaun oder Bfandl. Der Kübel (Eimer) schließlich heißt in Wien Khiwe. Auch der fahrbare.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Scherben-Allerlei aus der Wiener Küche“

  1. Liebe Frau Andrea,
    anlässlich Ihrer heutigen Kolumne über Scherben, Degerln, Bitschn usw. fällt mir ein Waiter in Cincinnati/Ohio ein, der einen Bierkrug als „pitcher“ bezeichnete, der mich an die Kaffee-Bitschn meiner Wiener Großmutter erinnert hat.
    Mit freundlichen Grüßen aus Graz,
    Eleonore Bergmann

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