Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 36/2021 zum 8. September 2021
Liebe Frau Andrea,
Ich weiß nicht, ob ich’s in einem Roman gelesen hab, oder aus meiner Jugend in Erinnerung habe. Jedenfalls hatte ich kürzlich beim Anblick meines Taschenmessers die Wortassoziation Fisch. Wie kommt es dazu?
Lieben Dank für Ihre Erläuerungen
Boris Kanzelhofer, Margareten, per Email
Lieber Boris,
wir betreten ein Feld, in dem sich das franke (unbescholtene) Wienerisch mit dem Rotwelsch der Pülcher vermischt. Wer in der Unterwelt zum Messer greift, „hondld schoaf“ (handelt scharf), „richtet jemand her“. Das Kommunikationsgegenüber wird „min Schäafling kitzld“ (mit dem Schärfling gekitzelt)“, „min Sabl augriem“ (mit dem Säbel angerieben). Man „gibt eam ane min Trawanka“, „dzupfd“ (zupft) ihn, „schdupft“ (stupft) ihn, „mochd eam auf“ (macht ihn auf), oder „foat eam eine“ (fährt ihm hinein, mit dem Messer natürlich).
Für die lautlose Waffe haben sich eine Vielzahl von Bezeichnungen etabliert, von denen manche den Weg in die Alltagssprache gefunden haben. So der Feidl oder Feitel, ein billiges Taschenmesser, wohl eine Verschleifung von spätlateinisch vitula, Fiedel. Das Zustechen mit dem Feidl bezeichnet der Pülcher deshalb auch als aufeidln (abfeiteln) oder augeign (angeigen). Unmusikalischer sind Ritza (Ritzer), Krotza (Kratzer), Stochl (Stachel) und Pracka (Pracker, verwandt mit dem Schriftdeutschen brechen, prägen). Aus dem Tschechischen kommen die Bezeichnungen Nusch (von nůž, Messer), Titschkerl (von tyčka, Stange, Latte) und Khudlitschka (von kudlička, der Verkleinerungsform von kudla, Messer). Technische Aspekte berücksichtigen die Bezeichnungen Schnappa (Schnapper), Springa (Springer, Springmesser), Fixierer (wegen der Möglichkeit, die klappbare Klinge zu fixieren) oder Schiam (das Klappmesser, das aufgeht wie ein Schirm).
Nur der Klingenform verpflichtet ist die Bezeichnung Brakss für ein großes Fleischermesser. So heißt im Wienerischen auch Abramis brama, die Brachse oder Brasse, eine Fischart aus der Familie der Karpfen. Der (in der Regel) verbotene „Läufer“, ein Messer mit herausschiebbarer Klinge, endlich kommen wir dazu, ist der „Fisch“.
Klein, aber ohje.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina
Nicht zu vergessen – der „Faahrer“.
Auf Herwig Seeböck’s „Häfenelegie“ dokumentiert (der genaue Wortlaut ist mir entfallen und die LP finde ich gerade nicht): „… Wenn du noch einmal so einen Blödsinn schreibst, mach ich dir einen Fahrer …“
Wenn ich mich recht erinnere: Ein Ritzer im Gesicht, mit Zucker (oder Salz) – ? – eingerieben, damit eine „schöne“ Narbe bleibt
Die erste Assoziation für Freunde von Taschenmessern ist das berühmte Rybička, das Lieblings-Schwammerlsuchmesser der Tschechen.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Rybi%C4%8Dka