Wo kommt die ganze Jeunesse her?

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 35/2021 zum 1. September 2021

Liebe Frau Andrea,
ein Wort geistert seit meiner Schulzeit in den Wiener 70erjahren durch mein Erinnerungsmyzel: Die Jeunesse. Wer ist das?
Haben Sie vielen Dank!
Alexandra Skedelj-Bernotti, Landstraße, per Email

Liebe Alexandra,

ohne große etymologische Akrobatik können wir das Wort als „Jugend“ übersetzen. Es gilt als Synonym jener Kohorte, die diese Alterserfahrung gerade erlebt.

Mit dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie schwanden die alten Eliten nicht, sie wurden nur etwas leiser. Zugehörigkeit zu Häusern und Geschlechtern (neuerdings: Familien) wird traditionell auf Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen affirmiert. Hochstapler schleichen sich auf Bällen und Empfängen neu in Stammbäume ein. Als Eintrittscodes firmieren genagelte Budapester, britischer Tweed, Cocktailkleider und Seidentücher aus Paris, Loden aus der Steiermark, Wappenringe vom Hofjuwelier. Man erkennt einander an der Sprache. An einem Idiom, das wie das proletarische Wienerisch eine genuine Produktion der Stadt ist und sich im etwas unscharf verwendeten Begriff „Schönbrunnerdeutsch“ sedimentiert.

Die Jeunesse wohnt und festelt lange bei den Eltern, winters in der Beletage im Familienpalais oder in der Villa in Döbling, Hietzing oder Sievering, sommers in der am Attersee, am Traunsee und im Ausseerland. Schotten, Piaristen, Sacré Coeur und Theresianum sind Stätten gymnasialer Alphabetisierung, Jus, Betriebsökonomie und Forstwissenschaft, bisweilen Medizin dienen der akademischen Fortifikation.

Jetzt tritt die Jeunesse ins Werk ein, in die Domäne, in die Gutsverwaltung, erbt ein paar hundert Hektar Wald oder ein prominenteres Aktienpaket. Wer aus einer Diplomatenfamilie stammt, besiedelt die bedeutenden Botschaften der Welt. Nach Verheiratung innerhalb similarer Kreise tritt Beschaulichkeit ein. Der Fortpflanz wird an ähnlicher Stelle in den Kreislauf eingespeist. Er entkommt seiner Klasse kaum durch Intelligenz, in bescheidenem Maße aber durch Gefängnisaufenthalte und psychiatrische Episoden.

Für Kalamitäten-Applanierung gilt jederzeit Qualtingers Diktum: „Der Papa wird’s schon richten.“


comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Wo kommt die ganze Jeunesse her?“

  1. Liebe Frau Andrea, mit dem größten Vergnügen habe ich Ihre äußerst treffende Analyse der „Jeunesse“ genossen. Als Bewohner einer Marchauen-Gemeinde ist es alljährlich beeindruckend bis verstörend, wenn eines Herbstages hier plötzlich bedrohlich große SUVs, befüllt mit geweihsüchtigen Ballerfrauen und -männern in Designerkampfanzügen zwecks ritueller Erschießung des „1er-Hirschen“ einfallen. Wo sich üblicherweise Fuchs und Hase (diese haben günstigstenfalls vorher Reißaus genommen!) gute Nacht sagen, tummelt sich dann fröhlich nasalierendes und oftmals erbämlich schlecht schießendes Von-und-Zu-Volk im kollektiven Blutrausch. Die erfolgreiche Tötung des Paarhufersenioren wird hernach beim Dorfwirten ausgiebig gefeiert. Das Volk darf glotzen und erstaunt feststellen, dass- mit fortschreitendem Abend und nach dem Genuss von etlichen „besten Bouteillen“- die blaublütige Artikulation mitunter holprig bis überraschend derb wird….dennoch kann mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das eine oder andere „G‘schäfterl“ dann auch noch schnell erledigt wird….

    Fred Härting,
    2295 Zwerndorf

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