Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 34/2020 zum 25. August 2021
Liebe Frau Andrea,
ein Hilferuf aus Ottakring! Der kürzlich verstorbene Prof. Arik Brauer hat uns ein Büchlein „Wienerisch für Fortgeschrittene“ hinterlassen. Hier finde ich das schöne Wörtchen „Reigaln“. Wie Brauer denke ich, ein Ur-Ottakringer (Jahrgang 1941) zu sein, aber bitte: Was sind diese verflixten „Reigaln“?
Hochbetagt ersuche ich freundlichst um Aufklärung! Weiterhin viel Erfolg und Dank im Voraus!
Ferry Kovarik, Ottakring, per Post.
Lieber Ferry,
außerhalb des Brauerschen Ottakrings kennen wir die Reinkerln, Reinggerln, Räunggelein. In den alpinen Gegenden Kärntens, der Steiermark und Niederösterreichs werden damit kleine, in Schmalz herausgebackene Germ- oder Mürbteig-Bemmerl bezeichnet. Das Wort ist eine Verkleinerungsform der wohl bekannteren, aber ebenso wohlschmeckenden Raunken oder Raunggen. Die unförmigen Knödel können, je nach Region aus vielen Arten Teig geformt werden, in der Regel werden aber auch sie in Schmalz geröstet. Der Ranken, das zugrundeliegende Wort, bezeichnete einst im ganzen deutschen Sprachraum ein großes Stück Brot, Fleisch oder Speck.
Zurück nach Ottakring. Arik Brauer expliziert uns in seiner Fibel, anständige Menschen hätten keine „Reigaln“, man könne davon ausgehen, dass auch seine verehrten Leser keine hätten und ihnen dieses Wort daher unbekannt sei. Kenner des Wortes, so Brauer, bewerteten es in hohem Maße negativ und hielten es im Allgemeinen auch versteckt. Trotz hervorragender Versorgung der Wiener Bevölkerung mit Hochquellwasser müsse man annehmen, dass in Wien Millionen Reigaln permanent existierten, obwohl ihre Haltbarkeit begrenzt sei.
Weil es für den Begriff Reigaln außer im Wienerischen in keiner anderen Sprache ein relevantes Wort gäbe, erklärt uns Brauer den Begriff verschämt auf Französisch: »Des résidus de crotte séchés collés aux poils du cul.« Auch die Comandantina will zu einer Umschreibung greifen. Nach Brauer sind Reigerln jene kleinen Knödelchen aus Verdauungsproduktion, die sich in der Frisur des großen Gesäßmuskel anreichern und bei den Lateinern als Korinthen firmieren.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina
Sehr geehrte Comandantina,
sie meinten, im Deutschen gäbe es außer dem Wienerischen kein Wort dafür, da muß ich sie leider enttäuschen. Gibt es 😉
Klabusterbeere. -> https://de.wiktionary.org/wiki/Klabusterbeere
Das muß irgendwo in irgendwelchen Märchen vorkommen, weil den Begriff kannte ich tatsächlich schon als KInd.
Und ich kenne zwar das Wort „Korinthenkacker“ -> https://de.wikipedia.org/wiki/Korinthenkacker es wäre mir aber neu, daß das Wort „Korinthe“ keine Rosine nicht meint. -> https://de.wikipedia.org/wiki/Korinthe
Mit allerherzlichsten Grüßen
Bettina Schenk
Liebe Frau Andrea, geschätzte Comandantina,
ich bin zwar in Ottakring aufgewachsen und hätte mir eingebildet, dass ich das dortige Idiom einigermaßen intus hätte, aber die Reigerln kannte ich nicht. Die hießen bei uns Winterkirschen.
Mit freundlichen Grüßen
Johann Wojta
Sehr verehrte Frau Andrea,
bezugnehmend auf Ihr letztes Informationsbureau, das ich Woche für Woche nahezu verschlinge,
habe ich nun eine Anmerkung und möglicherweise eine Richtigstellung:
Als Knabe habe ich einmal so eine medizinische Übersichtstafel aus festem Karton mit überkaschiertem
Kunstdruck (wie sie ja so oft im Unterricht gebraucht wurden) mit dem Titel „Übersicht Kotstangen“ gesehen.
Fasziniert von den vielen verschieden Formen und Farben der menschlichen Ausscheidung, erinnere ich
noch sehr lebendig an das eben nicht stangenförmige Häuflein mit dem Titel „Korinthenförmig“, womit mir
damals schlagartig die vielzitierte Bedeutung Korinthenkacker klar wurde, die ich mir vorher – vor allem in
einem Internetfreien Zeitalter – nicht sinnvoll zu dem kleinlichen Pedanten hatte herleiten können.
Nun sind für mich diese rosinenhaften Miniköttel nun die Ausscheidung selbst, die auch im Porzellan
landen und weiters im Kanalsystem verschwinden. Die Mikroversionen davon, oder jene, die sich von
anderen Formvarianten abspalten mögen und „hängen bleiben“ sind mir jedoch als sogenannte
„Winterkirschen“ bekannt, wobei ich es mir nie eindeutig im versierten Bekanntenkreis zu klären
gelang, ob damit wirklich verklebtes organisches Material gemeint war, oder um das zweite Phänomen: kleine verfilzte Faserknötchen, die sich durch intensives Tragen warmer winterlicher Wollunterwäsche – vor allem nach dem Sport- im „Intimgewöll“ finden lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Ernst Kurt Weigel
PS: Vielen Dank für Ihre wunderbaren Kolumnen!!!!
Die Italiener kennen den Begriff „tarzanelli“, abgeleitet von Tarzan, dem Dschungelhelden, der sich von Liane zu Liane schwang und sich bestimmt auch in diesen manchmal verhedderte. Und schon sehen wir vor unserem Auge besagte Reigaln. Auf youtube gibt eine gute Beschreibung der tarzanelli auf italienisch, die so beginnt: „Das ist das ekligste Posting, das ich je verfasst habe….“ https://youtu.be/Rw8YPr5WEIM
Und auch die in Italien recht bekannte Intellektuellen-Punkgruppe „Skiantos“ haben die Reigaln in ihrem Song „tarzanelli“ unnachahmlich beschrieben, wenn sie reimen:
„Particello di cacca, che al culo s’attacca …“
Hallo Frau Dusl,
von meiner Freundin, die einige Zeit in Mailand gelebt hat, habe ich für den erwähnten Begriff das schöne italienische Wort Tarzanelli gelernt. Das Wort Klabusterbeere kenne ich nur vom Googeln nach den Tarzanelli. Ich bevorzuge den italienischen Begriff, weil man sich darunter einfach mehr vorstellen kann 🙂
Endlich kann ich auch einmal Frau Dusl schreiben. Guten Morgen! Ich liebe Ihre Wörterreisen. Zuckareinkalan, Reindling, ich dachte immer, da steckt das Wort „Rein“ drin, die Form in der ursprünglich der Reindling gebacken wurde.
Herzlichst Andrea Spendier
Ich glaube, wir müssen etymologich gesehen „reink…“ und „reind…“ von einander trennen. Im Wienerischen, das viele alte Formen bewahrt hat, ist die Verkleinerung von „Rein…“ das „Reindl“. Ein Hinweis drauf, dass die „Rein“ eher zum „d“ neigt, als zum „k“. Insoferne gehören die „Reinkalan“, die kleinen „Reinken“ nicht zum Gefäß Rein.
… oder wie der wahre Wiener zu sagen pflegt:
WINTERKIRSCHEN
Zu der Frage aus Ottakring bezüglich Reingarln: als Kärntnerin ist mir der Begriff „Renkalan“ bekannt. Die Zuckerrenkalan sind die verkleinerte Form des Reindlings, eines Germteigkuchens, gefüllt mit Zimt und Rosinen, der in Kärnten zu Ostern mit dem geweihten Osterschinken zusammen gegessen wird. Reindling heißt er, weil er in der Rein = Reindl, gebacken wird. Den Reindling schenken zu Ostern die Patenkinder ihren Paten. Recht gute Renkalan bekommt man bei Hofer. Grüsse von einer Kärntnerin in Salzburg!