Das österreichische Zuckerl

Österreich ist begnadet für das Schöne. Das ganze Volk, Töchter und Söhne. Die Bundeshymne erinnert uns bei jedem Absingen daran. Das Schöne ist in Österreich aber immer erst einmal das Günstige. In einem jahrhundertelang eingeübten Missverständnis verwechseln die Österreicher (Österreicherinnen sind immer mitgemeint) Gunst mit Zuneigung. In einem zweiten Missverständnis wird das Auffinden des Günstigen für eine Leistung des Finders gehalten. Tatsächlich ist es eine des Begünstigers. In Verschleierung dieser Zusammenhänge heißen die Produkte der Gunst hierzulande „Zuckerl“ (ihr Gegenteil, die Erzeugnisse der Ungunst werden uns als „Paket“ verkauft). Hie der süße Tand der Kindheit, da das Unangenehme in Verpackung.

Das Zuckerl soll uns in Zeiten der Krise von Schmerz und Enttäuschung ablenken, uns ein Lächeln abringen, wo wir Unmut und Grimm empfinden. Wäre das Zuckerl von Wert, würden die Gratifikationen der Bosse und Manager ebenfalls Zuckerl heißen. Diese Draufgaben, der Zusatzlohn für Leitungsleid und das Meistern von Schwierigkeiten, heißen aber bekannterweise „Bonus“. Das Wort kommt über Zwischenstufen, zu denen auch der englische Frühkapitalismus zählt, vom lateinischen Adjektiv bonus (bona, bonum), gut, und dieses von bene, gütig.

In österreichischer Rezeptur wird zum Schönen das Günstige gemischt, angereichert mit ein paar Spritzer vom Gütigen. Fehlen noch Süße und Buntheit.

Wen wundert es, dass österreichische Zuckerl immer in durchsichtigen Paketerln überreicht werden?

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 21. August 2021.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert