Eine alte chinesische Weisheit geht so: „Welches sind die drei dünnsten Bücher der Welt?“ „Italienische Heldensagen, die Geheimnisse der englischen Küche und 1000 Jahre deutscher Humor.“ Das Zitat wird gemeinhin Groucho Marx unterschoben, auch Loriot und Karl Farkas werden gerne, wenn auch fälschlich als Urheber genannt. Andernlands zirkulieren Varianten, in denen polnische Gesetzestexte, schottische Investitionen und die amerikanische Kulturgeschichte genannt werden. Eine Zeit lang lachte fast ganz Österreich über einen Landeshauptmann und sein angeblich einziges Buch. In Vergessenheit fiel der Witz, der danach fragte, warum die Steirer ihre Mopeds in die Bibliothek stellten. Weil „Puch“ darauf stehe. Im Rahmen gängiger Beleidigungsumkehr erzählten die Steirer den Kalauer über burgenländische Kraftradbesitzer.
Wiederholt wird geringe Kulturdichte mit fehlender Lesefreude verbunden, und diese mit schwacher Autorenkraft. Corona und seine gesellschaftlichen Umwälzungen straft diese Befunde Lügen (Fakealarm sagen die Zeitgenossen). Nie zuvor in der Geschichte der Menschheit wurde soviel gelesen wie heute, alle und jeder nimmt Teil am smartphonegestützen Lesen. Im Sekundentakt werden Literaturpartikel, journalistische Zufallsfunde, private Mitteilungen konsumiert. Das Schreiben von Briefen (man sagt Chatnachricht, man sagt Druko, man sagt Posting) steht in prachtvoller Blüte.
Das Abendland geht nicht unter, wie die Cassandrae behaupten, ganz im Gegenteil, es quillt über. Die Flut findet im Äther statt. Zwischen den Buchdeckeln indes staubt es.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 24. Juli 2021.