Die Chats der normalen Österreicher

„Jedes Schriftl is a Giftl“ lautet eine alte politische Weisheit. Sie hat den Sprung über die digitale Wasserscheide nicht überlebt. Was früher zur Vermeidung von Nachvollziehbarkeit hinter dicken Polstertüren ausgetauscht wurde, hat mit dem Aufkommen von Smartphones (man sagt Handy) seinen Weg in die Welt der Shortmessages (man sagt: Chatnachricht) genommen. Getippt und gewischt ist nicht geschrieben, sagten sich die Austauscher neuen Stils und ignorierten dabei jene Weisheit viel jüngeren Datums, die da lautet: „Das Netz vergisst nie.“ Festplatten mögen den Shredder nicht überleben, komplettgelöschte Handys den Durchsucher täuschen, aber in der Cloud da draußen bleibt das Getippte und das Gewischte erhalten. Bis in alle Ewigkeit. Politiker modernen Anstrichs besitzen also neuerdings keine Handys mehr, auch rückwirkend natürlich.

Der normale Österreicher und die stets mitgemeinte Österreicherin sind von der Kompromittierung durch die immerwährende Veraktung ihres Soziallebens nur wenig eingeschränkt. Zwar nasern Eifersüchtige noch immer gerne in den Chats ihrer Partner herum, aber nur die Einfältigsten werden dabei der chatgebundenen Unredlichkeit überführt.

Der normale Österreicher und die stets mitgemeinte Österreicherin kommunizieren über alles und jeden, über äußere Umstände so ausführlich wie über innerste Befindlichkeiten. Am liebsten fernmündlich. Worüber sich Frau und Herr Österreicher austauschen, wissen alle. Alle in jedem Bus. Alle in jedem Eisenbahn-Großraumwagen. Alle in jedem Wirtshaussaal. Alle in jedem Gastgarten. Österreich hat nichts zu verbergen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 17. Juli 2021.

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