Entschuldigen bitte!

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 27/2021 zum 7. Juli 2021

Liebe Frau Andrea,
in letzter Zeit sieht man im Fernsehen gehäuft Politiker, Topmanager et cetera, die sagen „Ich entschuldige mich“. Bedeutet das nicht im Grunde, dass sie sich selbst „entschulden“, sie sich selber von Schuld frei sprechen? Meinem Gefühl nach muss es heißen: „Ich bitte um Entschuldigung“, denn nur so ersucht man den anderen, dass er einen „ent-schuldet“. Liege ich da mit meinem Sprachgefühl falsch?
Bin schon gespannt, wie Sie die Sache sehen.
Mit besten Grüßen,

Marianne Huber, per Email

Liebe Marianne,

im Ringen um Deutungshoheit erklären moralisch Minderbegabete Amtliches zu Privatem, Privates zu Amtlichem. Beleidigungen aller Art werden als „millieubedingte Unmutsäußerung“ gewertet. Wir sollten sie um den Begriff der „chatbedingten Vollpfosterei“ erweitern.

Im täglichen Sprachgebrauch werden Fragen von Schuld und Entschuldigung nicht hinreichend geklärt. Das Dilemma der Orientierung von Schuld und Entschuldigung ist in der Floskel “Tschulligung” zusammengefasst. Wird hier um Entschuldigung gebeten, also um Befreiung auferlegter oder zugefallener Schuld? Oder wird hier Selbstentschuldigung angeboten? Die Zielrichtung dieser grundverschiedenen Vorgänge, ja das schiere Vorliegen eines Unterschieds ist den Sprechenden meist nicht bewusst. Die „Entschuldigung“ wird angeboten, wo sie doch erbeten werden sollte.

Sprachgeschichtlich gesehen kommt der Begriff Schuld vom althochdeutschen “syllen“, sollen. Die Schuld ist das Sollen. Die Instanz, die bestimmte, was getan werden sollte, hieß im Mittelalter Schultheiß, kurz Schulze. Inhaltlich ist Schuld, das “zu Sollende“ mit dem römisch-rechtlichen Begriff “obligatio“ verknüpft, mit der Verpflichtung, wörtlich: dem Auferlegten. Was heute Schuld genannt wird, hieß (auch in nichtreligiösem Zusammenhang) ursprünglich Sünde. „Sünde“, im Althochdeutschen noch „sunta“ ausgesprochen, ist abgeleitet von einem germanischen Rechtswort für “Schuld an einer Tat”. Es ist ein Abstraktum zu sund (wahr, seiend), einem alten Partizip zu Sein. Schuld ist also eigentlich “das, was ist”.

Selbstentschuldiger transformieren es in „Geh bitte, da war doch nichts.“

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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