In der Schatzkiste der Österreichischkeiten gilt die Wahl als gewichtsloser Tand. Sie ist gut verräumt bei den Kunststoffen Genauigkeit, Korrektheit, Verlässlichkeit. Schwer hingegen wiegen Gemütlichkeit und Beinandersein (in Wien der Schmäh), insgesamt die Preziosen des zwischenmenschlichen Glücks. Zwar werden der Wahl des Bundespräsidenten und der Nationalratswahl gewisses Gewicht zugesprochen, aber in Vereinsdingen gilt die Affirmation als Instrument zur Chefitäts-Bestimmung. Ein Gremium aus Urgestein beschließt, wer was ist, oder wer was wird, im Regelfall aber: Wer was bleibt. Wahlen in Vereinen (dazu zählen auch die Wahlen von Landeshauptleuten und Bürgermeistern) sind reine Formsachen, sprich, die Form muss nur dargestellt werden. Nicken, Handheben, bisweilen nur die Anwesenheit gelten als Zeichen der Bestätigung. Urnen bringen Unglück. Geheime Abstimmungen, Wahlen mit mehreren Kandidaten sind des Teufels. Elektionen mit 98% Zustimmungsgewicht gelten als vorbildlich, die fehlende Prozentpunkte ergeben sich aus Berechnungsfehlern und Undeutlichkeiten. So war das und so ist das in politischen Parteien. Auch in der alten Tante Sozialdemokratie. Deren Parteivorsitzenden waren gut beraten, einen sowjetischen Achtundneunziger im Ergebnis zu haben. Dass das mit den tatsächlichen Stimmungen in einer politischen Partei wenig zu tun hat, ist kein großes Geheimnis. Wenn also bei einer freien und geheimen Wahl neuerdings Ergebnisse unter besagten 98% erzielt werden, ist das kein Fiasko, sondern ein Zeichen von demokratischer Normalität.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 3. Juli 2021.