Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 24/2021 zum 16. Juni 2021
Liebe Frau Andrea,
manche Menschen in Politik und oder sonstigen gesellschaftlich relevanten Positionen beschließen nach unkorrektem Verhalten, sich doch irgendwann zu entschuldigen oder gar zurückzutreten. Aus aktuellem Anlass kam mir da die Formulierung‚ ‚dem geht der Arsch auf Grundeis‘ in den Sinn. Aber woher sich dieser Sager ableitet ist mir schleierhaft, vor allem – was ist Grundeis? Bitte um Aufklärung!
Danke und liebe Grüße,
Caro Haas, per Email
Liebe Caro,
bei anhaltend tiefen Temperaturen frieren Seen, Bäche, manchmal auch Flüsse zu. Wenn dauerhafter Frost den Boden tiefgründig gefriert, können Fließgewässer auch an der Sohle Eis bilden, das so genannte Grundeis. Vorausgesezt, es besteht keine Verbindung zwischen Gewässer und Grundwasser. Nicht alle Flüsse können also Grundeis bilden.
Unsere Redewendung nimmt Bezug auf das Schmelzen besagten Grundeises bei Tauwetter. Wegen der geringeren Dichte von Eis erfährt dieses beim Abgehen von der Gewässersohle Auftrieb, es steigt an die Oberfläche. Das losbrechende Grundeis sorgt für polternde Geräusche, die an das Rumoren der Eingeweide bei Durchfall erinnern. Die Redewendung ist seit der Mitte des 18. Jahrhunderts belegt, aber wohl älter. Der zu Lebzeiten viel gelesene deutsche Dichter Joseph Victor Scheffel, indirekter Schöpfer des Begriffes Biedermeier, hat das Gewässergrimmen 1864 im Gedicht „Der erratische Block“ verewigt. Dessen siebte Strophe lautet: „Und der spielt die traurigste Rolle, / dem die Basis mit Grundeis ergeht… / Ich wurde auf treibender Scholle / In des Ozeans Brandung verweht.“
In Wien geht niemals der „Arsch auf Grundeis“, vielmehr geht Ängstlichen „der Reis“. Der Ausdruck kommt aus der Kohorte der Straßenbahnfahrer. Versagen denen bei Rädergleiten und Rutschen infolge Laubfalls oder Nieselregens die Bremsen, hilft nur mehr das Sanden. Mit der Streuvorrichtung können die Schienen vom Fahrerplatz aus mit Sand bestreut werden. Das grobe Gesteinsmehl vergrößert die Reibung und heißt, wir ahnen es bereits, im Jargon der Bimfahrer schlicht „da Reis“. Wer also in Wien Angst hat, es nicht mehr zu „derbremsen“, dem geht der Reis. Zu jeder Jahreszeit.
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