Die zwei Aggregatzustände des österreichischen Politikers

Der österreichische Politiker (die österreichische Politikerin ist immer mitgemeint) ist eine Person, die allen gehört. Alle wissen alles über ihn (über sie), alle sprechen mit, alle wissen Bescheid. Man kennt die Herkunft, politisch wie geographisch, die kleinen und großen Stationen am Weg nach oben, die Fürsprecher und Protektoren, die Institutionen, Kammern und Bünde, denen der österreichische Politiker, die österreichische Politikerin gehört. Wenig hat diese Mechanik des Hochsteigens je gestört. Irgendwann hat die österreichische Seele diesem naturgesetzlichen Geschehen mit dem Quereinsteiger (der Quereinsteigerin) geantwortet. Insgeheimes Vorbild dafür war Ronald Reagan, der vom B-Movie-Set erst ins kalifornische Kapitol und von dort ins Oval Office geritten war. Wer Ronald Reagan am Präsidentenpult sah, sah immer auch den Cowboyhut und den gezückten Filmrevolver. 

Die Biographie ist das eine Standbein des Politikers, der Politikerin. Das Schönen und Verschleiern biographischer Unpässlichkeiten, dummer Sager und falscher Entscheidungen das andere. Die Rache der Journalisten an den Politikern sei das Archiv, stellte Robert Hochner, Großmeister der österreichischen Politikbegleitung einst verbindlich fest. Der österreichische Politiker trachtet seither, den Journalismus zu kontrollieren und gleich auch sein Rache-Instrument, das Archiv. Der moderne Politiker entledigt sich der Telefonie, des Terminkalenders, der Druckerfestplatte. War’s das? Nein. Der Österreicher, die Österreicherin hat sich alles gemerkt. Die kleinsten Danebenheiten. Und alle wissen: Der Heilige wird flott zum Falotten.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 1. Mai 2021.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert