Wie voll ist das Glas?

In jeder Frage der Verhältnismäßigkeit darf Österreich als zutiefst konservativ gelten. Nichts soll sich ändern. Volle Gläser sollen immer auch als leer gelten. Diese Haltung speist sich aus der Erkenntnis, dass Änderungen stets Verschlimmbesserungen sind. Selbst das ausgesucht Gute und weitgehend Richtige stellt sich nach Prüfung (die immer erst nachträglich erfolgt) als weitgehend falsch und ausgesucht schlecht heraus. Zumindest darin sind sich die Proponenten sämtlicher Lager einig. In der Schuldfrage gibt es indes Fingerzeigen.

Ein Jahr nach Ausbruch der Krise erinnern wir uns an das erste Bild, das uns Corona brachte, wohlgemerkt, das erste österreichische Bild. Der ORF-Reporter Klaus Schönherr steht vor dem Grand Hotel Europa in Innsbruck (es ging im Herbst in Corona-Insolvenz). Wir erfahren Details zur ersten medial bekannten Infizierten des Landes, einer der Rezeptionistinnen des Hotels. Polizisten bewachen den Hoteleingang hinter Reporter Schönherr, durch die Glastüren sieht man ins Foyer des isolierten Beherbergungsbetriebes: Exekutivbeamte und Weißmäntel in allen Graden der Aerosol-Verteilung – Maskierte, Unmaskierte und Nasenraushänger.

Welche Maßnahmen getroffen worden seien, wird der Reporter gefragt. Die Polizei kontrolliere die Ein- und Ausgänge. Niemand dürfe hinein oder heraus, soweit er dies beobachten könne.

In diesem Moment der Österreichischkeit öffnet sich die Glastüre des Hotels und ein Unmaskierter mit Elektroller verlässt das Gebäude. Ein Cobrabeamter hält ihm freundlicherweise die Türe auf.

In diesem Bild ist alles zusammengefasst.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 6. März 2021.

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