Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 09/2021 zum 3. März 2021
Liebe Frau Andrea,
auf Twitter postete dieser Tage ein bekannter Anwalt, Beweger kreativer Lösungen für Wirtschaftsunternehmen und Autor verschiedenster Fachbücher und Fachartikel den kryptischen Tweet: „Wie lange dauert es, bis Kurz das Handtuch wirft?“ Was meint er da genau? Wieso soll der Bundeskanzler (oder jemand anderer mit diesem Namen) ein Handtuch werfen?
Vielen Dank für ihre Expertise, ich liebe Ihre Beantwortungen,
Stina Pettersson, Stockholm und Wien Josefstadt
Liebe Stina,
die Redewendungsforschung macht als Urheber des Diktums eine Praxis aus dem Boxsport aus. Das Handtuch zu werfen bedeutet dort soviel wie aufzugeben, sich als unterlegen zu erklären. Im Mutterland des Faustsportkampfes heißt die Wendung etwas genauer „to throw in the towel“, das Handtuch hineinwerfen. Wo aber werfen Aufgebende ihr Handtuch hinein? In den Handtuchkübel? In ihre Sporttasche? Unterlegene werfen gar nichts, sie liegen entweder am Boden oder hängen in den Seilen. Das Handtuch werfen ihre Betreuer, und zwar in den Ring, um mit dieser gut sichtbaren Symbolhandlung den Kampf sofort abzubrechen und damit ihren Schützling vor schweren Verletzungen oder dem Tod zu bewahren. Niemals in der Geschichte des Boxsportes hat ein Athlet selbst ein Handtuch geworfen. Was diese oft taten: In sicherem Abstand zum Geschehen ihre Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. Soweit die Sprichwort-Wissenschaft.
In der sportlichen Realität moderner Faustkämpfe führt ein geworfenes Handtuch nicht unbedingt zum Abbruch des Kampfes, spricht doch einen solchen ausschließlich der amtierenden Ringrichter, nicht selten im Zusammenwirken mit dem amtierenden Ringarzt aus. Sollte ein Betreuer seinen Schützling wider deren Einschätzung aus dem Kampf nehmen wollen, hilft nur eine Maßnahme: Die paradoxe Intervention. So geschehen am 19. August 1995 während des Schwergewichtskampfes zwischen Mike Tyson und Peter McNeeley. Nach zwei schweren Niedergängen in den ersten beiden Minuten trat McNeeleys Manager Vinnie Vecchione in den Ring, um seinen Recken zu retten, was zu dessen sofortigen Disqualifikation führte.
Kurz gesagt.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina