Der Fiaker und sein Hut

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 07/2021 zum 17. Februar 2021

Liebe Frau Andrea,
einer meiner Großväter war Fiaker. Sein Zeugl stand am Stephansplatz. Auf dem Kopf trug er stets eine Melone, also diesen rundlichen Hut, den auch Stan Laurel und Oliver Hardy in ihren Filmen trugen. Opa war allerdings eher mürrisch (ein Fiakerleiden), und er sagte niemals Melone zu seinem Hut, sondern Stessa. Ich dachte immer, das käme von der Rüttelei des Wiener Kopfsteinpflasters, und dass der Stessa diese kleinen Stöße wiedergegeben habe. Neuerdings zweifle ich aber an dieser Erklärung, weil Opas Hut doch Rüttla heißen müsste. Mein Großvater ist leider schon in den Fiakerhimmel eingerückt und kann mir das nicht mehr erläutern. Vielleicht wissen Sie mehr!
Besten Dank für wertvolle Arbeit,
Bettina Bayer, Ottakring, per Email.

Liebe Bettina,

für den Diensthut der Wiener Mietdroschkenkutscher zirkulieren zwei konkurrierende Synonyme, Schdessa (Stößer oder Stesser) und Schmoirampftla (Schmalrandler, von althochdeutsch rampht, Rand). Beide Bezeichnungen geben Hinweise auf die ursprüngliche Form des Fiaker-Hutes. Nach Konjunktur des englischen Zylinders beim Bürger- und Großbürgertum der europäischen und amerikanischen Metropolen wurde der Hohe Hut auch zum Abzeichen echtesten Wienertums, beliebt bei Kutschern und Volkssängern. Der Volksmund benannte den meist schwarzen walzen- oder röhrenförmige Hut aus Filz oder Seidenplüsch mit gewölbter oder gerader Krempe scherzhaft Ångstrean (Angströhre), Glåndsbuttn (Glanzbutte), Möhwuamhäfn (Mehlwurmtopf), Ofnrean (Ofenröhre) und eben Schdessa (Stößer). Letztere Bezeichnung hatte sich für den Zylinder und Halbzylinder der Fiaker etabliert. Auch der Wechsel zur Melone änderte nichts an dieser Bezeichnung.

Die Kulturwissenschaft kennt zwei konkurrierende Etymologien. Nach der einen erinnerte die Form des Zylinders an stampferförmige Werkzeuge, etwa die schweren Stößer der Erz-Schmelzer, Deichbauer oder die leichteren Mörser-Stössel der Apotheker und die Faschiermaschinen-Stoßer der Fleischhauer und Wurstmacher. Die andere Etymologie leitet den Namen von der Stoßbewegung ab, mit der man die faltbare Zylindervariante Chapeau Claque in Form brachte.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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