Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 48/2020 am 25. November 2020.
Liebe Cousine,
kannst Du das deuten: „Etwas sei zum verbrennen schön“? Das Zitat stammt aus einem Brief der Klavierbauerin Nannette Streicher an ihren Mann Andreas Streicher. Ich vermute einmal, dass es den Sinn von „zum Verbrennen gut“ mit einem ironischen Unterton hat. Karl Maria von Weber, als er nach Wien kam, um ein Klavier zu kaufen, schrieb auch einem Freund, die Pianofortes von Walter seien nicht mehr das Brennholz wert, oder so ähnlich.
Alles Liebe,
Albrecht Czernin, Josefstadt, per Email
Lieber Cousin,
Anna-Maria genannt Nannette Streicher, Tochter des Augsburger Orgel- und Klavierbauers Johann Andreas Stein, Pianistin, Komponistin, Musikpädagogin und Konzertveranstalterin gilt als eine der berühmtesten Klavierbauerinnen ihrer Zeit. Sie war eine der wenigen frühbürgerlichen Unternehmerinnen, die auch finanziell äußerst erfolgreich agierten. Bekannt wurde sie auch als enge Vertraute Beethovens.
Unser Zitat finden wir in einem Brief aus Wien vom 9. Oktober 1793 an ihren zukünftigen Gatten, den Stuttgarter Pianisten Johann Andreas Streicher über die Klaviere ihres Wiener Hauptkonkurrenten: “Die Forte Piano von Walter sind zum verbrennen schön”. Wir werden dem Versuch widerstehen, die Büchse der Pandora zu öffnen, die vielfältigen und von großen Emotionen getragenen Beziehungen der mitteleuropäischen Klavierbauer untereinander zu untersuchen. Dabei können sich Unterinformierte nur die Finger verbrennen. Uns interessiert das Zitat selbst.
Eine große Verbreitung im Deutschen können wir nicht feststellen. Was meint Nanette Streicher? Meint sie, die Klaviere Walters wären mies, aber zu schön, um sie als Brennholz zu verwenden? Oder verbrennten sich Bewunderer an ihrer optischen und klanglichen Schönheit? Im ersten Falle fände sich das durchaus zeitgenössiche Sprichwort, eine kunsthandwerkliche Holzarbeit sei „zum Verbrennen ZU schön“, im anderen Falle, sprichwörtlich nicht belegt, schlösse sich die poetische Befindlichkeit an, für die Hingabe an eine Idee in die Flammen zu gehen, wie der böhmische Reformator Jan Hus, der am 6. Juli 1415 auf dem Konstanzer Brühl, zusammen mit seinen Schriften verbrannt wurde.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina
Aus der Korrespondenz zu dieser Kolumne:
Albrecht Czernin, 16.11.2020
Liebe Andrea,
kannst du das deuten: „etwas sei zum verbrennen schön“
Alles Liebe,
Albrecht
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Andrea Maria Dusl, 16.11.2020
An: Albrecht Czernin
Lieber Albrecht,
das ist eine sehr schöne Frage und ich würde sie gerne im Falter beantworten. Darf ich?
Wo hast Du das Zitat her? Ich habe mal ganz schnell gefunden, dass es von der Klavierbauerin Nannette Streicher stammt. Im März schrieb die NZZ darüber.
Liebe Grüße,
Andrea
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Albrecht Czernin 16.11.2020
Liebe Andrea,
das ist korrekt! Es stammt von einem Brief der Klavierbauerin Nannette Streicher (geb. Stein) an ihren Mann Andreas Streicher.
Ich vermute einmal, dass es den Sinn von „zum Verbrennen gut“ mit einem ironischen Unterton hat. Karl Maria von Weber, als er nach Wien kam, um ein Klavier zu kaufen, schrieb auch einem Freund, die Pianofortes von Walter seien nicht mehr das Brennholz wert, oder so ähnlich.
Natürlich kannst Du es im Falter beantworten. Laß mich bitte Deine Antwort wissen.
Alles Liebe,
Albrecht
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Andrea Maria Dusl 17. November
An: Albrecht Czernin
Lieber Albrecht,
wir kommen der Sache näher! Ich vermute einen englischen Ursprung, kann das sein, bei Pianisten und Klavierbauern?
Liebe Grüße,
Andrea
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Andrea Maria Dusl 17. November 2020
An: Gerald Krieghofer
Lieber Gerald,
ich ersuche um Deine kollegiale Expertise!
Mein Cousin Albrecht Czernin, fragt mich, ob ich wisse, woher die Redewendung „etwas sei zum verbrennen schön“ komme. Das ist eine sehr schöne Frage und ich würde sie gerne im Falter beantworten.
Ein verbreitetes Zitat ist es nicht. Ich vermute eine Verdrehung eines möglichen, ursprünglichen Redewendung, “etwas sei zu schön, um es zu verbrennen”. Und das scheint mir aus dem Englischen/Amerikanischen zu kommen. Für französische Anbindungen fehlt mir die Sprache.
Was meinst Du?
Liebe Grüße aus dem Elfenbeinturm!
Andrea
PS.:
Wir treffen einander Freitag nach Corona!
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Gerald Krieghofer, 19. November 2020
An: Andrea Maria Dusl
Liebe Andrea im Elfenbeinturm,
das ist endlich wieder einmal ein schönes Problem. Ich habe versucht herauszubekommen, aus welchem Bereich die Metapher stammen könnte und vergeblich Sprichwörterbücher und ein paar religiöse und lyrische Texte durchkämmt.
Im Zeitungsarchiv ANNO kommt der Superlativ „zum Verbrennen schön“ nur einmal vor. Eduard Hanslick ist von dem Violin-Virtuosen Ondracik begeistert. Er „spielte Paganinis berüchtigten „Hexentanz“ als wahrer Hexenmeister – zum Verbrennen schön.“ (Neue Freie Presse, 27. Februar, 1883, Morgenblatt, S. 2)
Da wir diese Metapher nur von musikalischen Menschen kennen, vermute ich jetzt, sie kommt so ähnlich in irgendeinem Lied- oder Operntext vor. Ich werde einen Opernarren danach fragen und mich wieder bei Dir melden, wenn ich hoffentlich klüger bin.
Dir alles Gute wünschend,
mit herzlichem Gruß
von Turm zu Turm
Gerald
PS: Noch ein Fund:
1. AZ am Abend (Allgemeine Zeitung), München 31.01.1929
https://digipress.digitale-sammlungen.de/search/simple?q=%22verbrennen%20sch%C3%B6n%22
2. NFP http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nfp&datum=18830227&query=%22verbrennen+sch%c3%b6n%22&ref=anno-search&seite=2
https://steadyhq.com/de/zitatforschung
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Andrea Maria Dusl, 19. November 2020
An: Gerald Krieghofer
Lieber Gerald,
hab vielen Dank für diese Funde! Ich hab Dich leider zu spät kontaktiert, musste am Mittwoch abgeben und so konnte ich nicht mehr profitieren.
Und ich stimme Dir darin zu, dass das eine spezifische Floskel aus der biedermeierlichen Musikerblase sein dürfte.
Ich habe mich im Text gerettet, in dem ich die Pandorabüchse der Musikerliteratur verschlossen hielt. Die Hermeneutiker dort sind übereifrig und kritiklüstern, aber geizig mit Teilhabe. Mir schreiben Sie ab und an, weil sie rausbekommen haben, dass mein Ururgroßvater der Arzt von Franz Schubert war. Ob ich mit geheimen Schubertbriefen dienen könne 🙂
Darf ich unsere Korrespondenz in meinem Blog unter den Artikel stellen?
Sei herzlich gegrüßt!
Torreal-ivorisch!
Andrea
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Andrea Maria Dusl, 21.11.2020
An: Albrecht Czernin
Lieber Albrecht,
hier sende ich Dir meine Kolumne, sie erscheint am Mittwoch im Falter.
Ich muss sie allerdings immer schon eine Woche früher abgeben.
Kurz vorm Schreiben habe ich noch meinen lieben Kollegen, den Zitatforscher Gerald Krieghofer https://steadyhq.com/de/zitatforschung befragt.
Liebe Grüße,
Alles Liebe,
Andrea
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Albrecht Czernin, 22.11.2020
An: Andrea Maria Dusl
Liebe Andrea,
es könnte wirklich ganz einfach bedeuten, etwas sei von so zauberhafter Schönheit ist, dass es nur das Werk eines Zauberers oder einer Hexe sein kann.
Alles Liebe,
Albrecht
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Andrea Maria Dusl, 22.11.2020
Lieber Albrecht,
ja das könnte sehr gut genau so sein. Ich halte Dich über weitere Erkenntnisse am Laufenden!
Liebe Grüße
Andrea
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Gerald Krieghofer, 24. November 2020
Liebe Andrea,
klar darfst Du unsere Korrespondenz auf Deinem Blog zitieren.
Herzlich,
Gerald
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Albrecht Czernin, 26. November 2020
An: Andrea Maria Dusl
Liebe Andrea,
die in Frage stehende Wendung habe ich Dr. Sebastian Kirsch vorgelegt. Hier seine Antwort. Sie stimmt in etwa mit Deiner überein. Interessant ist hier der Bezug zum Verbrennen von Büchern und Kunstgegenständen.
„Zum Verbrennen schön!
Bei solchen Dingen schaue ich immer als erstes in das Grimmsche Wörterbuch. Dort finden sich unter „verbrennen“ die folgenden Einträge:
„ich halt das buch für gottes wort,
derhalb bitt ich an disem ort,
dem buch kein unehr zu beweisen,
mit verbrennen oder zerreiszen.“
H. Sachs 3, 1, 138 (11, 13, 3 Keller);
„aber wie vormals mitt dem schreiben, also ist och hie mitt dem verbrennen widerfaren, dann hiemitt sind die hertzen so dem Luther gunstig erst recht entzundt. Kessler sabbata 135; zum verbrennen wär es (das bild) wirklich zu gut. Wieland 35, 12.“
Wieland passt gut in die Zeit. Kann es sein, dass Nanette sagen will: Die Flügel sind zum Verbrennen zu schön, also schon schön, aber auch nicht wirklich?
Eine andere Möglichkeit bietet der Hinweis unter dem Stichwort „verbrennlich“:
„VERBRENNLICH, adj. fähig zu verbrennen, quod comburi potest. Frisch 1, 134c: man sieht, wie entzündlich und verbrennlich der einsiedler sich auch hier wieder zeigt. Zimmermann bei Campe unter entzündlich.“
In diesem Fall könnte verbrennen also entzünden bedeuten und würde gut in die empfindsam-romantische Sprachwelt passen. Es könnte damit heißen, dass die Flügel so schön sind, dass sie (fast gefährlich) eine Leidenschaft entzünden und man sie lieber nicht berührt, weil man sonst von dieser Leidenschaft gänzlich erfasst wird etc. pp.
Vielleicht habe ich Dir damit ja geholfen!“
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Andrea Maria Dusl, 26. November 2020
Danke Dir,
lieber Albrecht!
Die Deutung „dass die Flügel so schön sind, dass sie (fast gefährlich) eine Leidenschaft entzünden und man sie lieber nicht berührt, weil man sonst von dieser Leidenschaft gänzlich erfasst wird” halte ich für die bisher am besten treffende. Wir bleiben dran! Darf ich unsere Korrespondenz auf meinem Blog unter der Kolumne veröffentlichen? Dann können auch andere davon profitieren!
Liebe Grüße,
Andrea
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Albrecht Czernin, 26. November 2020
An: Andrea Maria Dusl
Liebe Andrea,
Du darfst!
So schön, dass man dafür durchs Feuer gehen möchte. So schön, dass man sich in die Flammen der inneren Begeisterung stürzen möchte, um darin zu vergehen.
Alles Liebe,
Albrecht