Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 47/2020 am 18. November 2020.
Liebe Frau Andrea,
sobald ein Bettzeug Zerfallserscheinungen aufweist, helfe ich nach und es entstehen noch vielseitig verwendbare Einzelteile – sprich Fetzen. Lustvoll zerreiße ich das Gewebe und es teilt sich willig nach Schuss und Kette. Soweit so klar aber bitte was ist bei Papierservietten und Taschentüchern los? Sie sind ja nicht gewoben, doch nach einer Richtung ist ein halbwegs gerader Abriß möglich, die andere sträubt sich. Wieso?
Lieben Dank für die Lösung vieler mehr oder (wie diesmal) weniger drängenden Fragen!
Susanne Sturm, per Email
Liebe Susanne,
das Wissen um die Erzeugung textiler Putzfetzen für Haushalt und Werkstatt ist alt und gründet sich auf praktische Erfahrung. Entlang des Schusses, also quer zur Stoffbahn reißen Stoffe leichter ein als längs, entlang der Kette. Bei neugekauften, vom Ballen abgerollten Stoffen lässt sich das relativ einfach überprüfen. Kettfäden laufen in Abrollrichtung, sind also sehr lang, Schußfäden laufen zwar hin und her, sind aber effektiv so lang wie die Stoffbreite. In der Regel reißen Kettfäden (Längsfäden) leichter als Schußfäden (Querfäden). Webtechnische Ausnahmen bestätigen die Regel.
Wieso aber reißt auch Papier so ungleich? Papier ist zwar nicht gewebt, besteht aber ebenfalls aus Fasern. Bei der modernen Papiererzeugung in Rollen werden diese Fasern zwangsläufig stärker in Laufrichtung ausgerichtet. Und hier ist es genau umgekehrt. Papier reißt parallel zur Faser leichter, als quer zu dieser. Bei der allzeit greifbaren Küchenrolle können wir das sehr leicht überprüfen: Längs der Wickelrichtung reißt Küchenrollenpapier in parallelen Streifen. Quer zu dieser reißst es völlig unregelmässig. Das ist der Grund, warum Küchenrollen (und Klopapier) in regelmässigen Abständen perforiert ist. Die Durchlöcherung hilft uns beim Zerreißen des Papier gegen die Faserrichtung. Bei Taschentüchern, die schon in handgerechte Portionen gefaltet wurden, lässt sich die Faserrichtung ebenfalls feststellen. Sie läuft parallel zur Schmalkante.
Das einzige Papier, das sich nicht an diese Reißrichtungen hält ist handgeschöpftes Büttenpapier. Für den Einsatz in Küche, Klo und Nase ist es zu teuer und zu hart.
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