Kinderherbst

Wir dürfen nicht wählen, sind fremdbestimmt, und haben weder Einkommen noch Besitz (von Plastiktalmi und Buntstiften abgesehen). Unsere Kleidung wird ständig kleiner, die Schuhe enger. Das Essen schmeckt nicht, es sei denn, es ist paniert und mit Ketchup veredelt. Wenn ein Ausflug gemacht wird, sitzen die Erwachsenen nur zusammen, trinken komische Getränke und werden lustiger, ohne dass etwas passiert. Die Welt stürzt wie ein Wasserfall auf uns ein, und dort wo wir das genießen (vor dem Fernseher) ist der Spaß durch Vorwürfe gestört: „Das war schon die dritte Folge!“ „Du verdirbst Dir die Augen!“ „Hast du die Rechenaufgabe schon gemacht?“.

Jetzt ist Corona und plötzlich ist alles anders. Masken müssen auch außerhalb der Verkleidungsfeste getragen werden, Händewaschen (schon normal ein Horror) findet minütlich statt. Wie soll man ein soziales Wesen werden, wenn überall ein unsichtbarer Babyelefant herumsteht? Wie soll getollt werden, und wie gerauft, wie Zöpfchen geflochten, oder getuschelt, wenn überall der Abstandmahner dazwischentritt! Wir werden von einem unsichtbaren Großeltern-Killer bedroht, aber mehr noch von Galopp der Verordnungen! Ihr raubt uns die Kindheit. Wie sollen wir glückliche Menschen werden, wenn nichts mehr ist, wie es sein soll. Nichts mehr ist, wie es war.

So sehen es die zuständigen Erwachsenen.

Kinder indes sind Kinder und finden alles normal. Weil sie schon das Normale seltsam finden. Seit Jahrmillionen geht das schon so. Seit der Asteroid die Dinosaurier ausgelöscht hat. Immer ist alles anders.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 31. Oktober 2020.

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