Die große weite Welt der Phantasie bedient sich realer Dinge, um Gespinste zu bauen. Wobei das mit den Dingen so eine Sache ist. Ist Sand ein Ding? Sind Wolken Sachen? Sand und Wolken sind neben dem Kaffeesatz (Achtung Wahrsagung!) die beiden wichtigsten Materialien, Traumgebilde zu formen. Manche sagen, nur die Erzählkunst könne das, das Buch, die Bühne, die Leinwand, der Traum selbst. Wie auch immer, aus Sand werden Burgen gebaut, allerlei Meeresgetier und Rennbahnen aller Art. Diese Erzeugnisse der Strandarchitektur stemmen sich gegen das drohende Spiel der Wellen, gegen Wind und Wetter. Und sie vergehen bald. Das große Märchenschloß ist anderntags nur mehr ein Haufen nasser Sand.
Ähnlich und doch anders geht es uns mit den Wolken. Wer ist noch nie in der Wiese gelegen, um den Wolken zuzusehen, wie sie sich zu Zauberschafen, Fabelmonstern und Luftschlössern gruppieren? Kennen wir nicht alle das olympische Gefühl, beim Besteigen eines Berges, oder bequemer und schneller, wenn auch turbulent, beim Steigflug eines Flugzeugs, die Wolken zu durchbrechen? Am Gipfel und in Reiseflughöhe werden die Wolken zu Wattenbäuschen, Seen und Meeren, und zu kuscheligen Schmusedecken.
Alles eine Frage der Perspektive, sagen die Versteher und fügen hinzu: Das friedliche Bild der österreichischen Wolke ändert sich, wenn sie das Gewitter gebiert. Dann wird es gefährlich. Am österreichischen Berg, wie im österreichischen Flugzeug. In der österreichischen Sandkiste sowieso.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 26. September 2020.