Machen wir uns einen Karl

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 39/2020 am 23. September 2020.

Liebe Frau Andrea,
als Fremdenführer beschäftige ich mich naturgemäß laufend mit der lebendigen Fremdsprache Wienerisch. „Den Löffel abgeben“ oder sich „eine Hetz machen“ sind da ein Leichtes. Am „Machen wir uns Karl“ beiße ich mir tatsächlich die Zähne aus. Das es laut einem Lexikon bedeuten soll, „jemanden zum Clown machen“ halte ich nicht nur für falsch sondern für einen hahnebüchenen ausgemachten Blödsinn. Sie sind als echte Expertiseträgerin wohl die für mich allerletzte Chance der Wahrheit auf den Grund zu gehen.
Liebe Grüße,
Florian Brandt, per Email

Lieber Florian,

die Wissenschaft ergründet nicht die Wahrheit, sondern untersucht Wahrnehmungen. Die Begriffswelt des Wienerischen kennt einige Vornamen. So den Schani (von französisch Jean, Johann, ehemals ein beliebter Vorname von Dienern), sodann den Hansl (Hans), Synonym für den Rest im Glas, den Schurl, als Träger der Blechhaube mit der Feuerwehr und ihrem Schutzheiligen St. Georg auszumachen, des weiteren die Liesl, die altwiener Bezeichnung für die Sonne, und nicht zuletzt der Koarl.

Die Etymologie des Ausdrucks ist nur scheinbar geklärt, seine Bedeutung oszilliert um Emotionen, die das Hochdeutsche mit dem Wort „Spaß“ bezeichnet, das Wienerische auch als Jux, Gaudé, Gschbas und Hetz kennt. Die gängigste Interpretation will den Karl oder Koarl von einem 1781 in der Leopoldstadt gegründeten Lustspieltheater ableiten. Die Volksbühne wurde unter seinem Impresario, dem Regisseur und Schauspieler Carl Bernbrunn vulgo Carl Carl (einem gebürtigen Krakauer) zum Synonym für ein „Theater“, für einen „Koarl“. Nicht zu Unrecht: Im Koarl- oder Carl-Theater sollte auch der berühmteste aller Wiener Unterhaltungskünstler unsterblich werden, Johann Nepomuk Nestroy.

Das ist die eine Seite der etymologischen Medaille. Das Avers stammt wie vieles im Wienerischen aus dem Jiddischen. Das Hebräische Wort „Kol“ oder „Qol“ heißt Stimme, (An-)Sprache – zugleich aber auch „das Leichte“ und „alles was überhaupt ist“. In Deutschland hat sich die Bedeutung im Ausdruck „Kohl zu reden“, also „Unsinn von sich zu geben“ erhalten.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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