Die österreichische Ampel

Der österreichische Verkehr ist ein großangelegter, permanent durchgeführter Intelligenztest. Jeder nimmt an ihm teil, jung und alt, von früh bis spät. Kraftwagenbeweger, Motorpferdreiter, Pedalfahrzeuglenker, Rollbrettfahrer, Fußgänger, und das große, leidende Heer der Passivbewegten: Passagiere, Fahrgäste, Mitfahrende. Ja auch die Nichtteilnehmer am Verkehrsgeschehen nehmen an diesem Test teil. Sie sorgen für die statistische Unschärfe.

Das Perfide am Intelligenztest Verkehr ist der Umstand, dass die Fragen im Bereich Ortsveränderung allesamt praktischer Natur sind. Basteln in Bewegung also. Im Rahmen von Lösungsversuchen wird allzuoft die Wirklichkeit umgedeutet: Rettungsgassen werden zu Vorfahr- und Nachfahrstreifen, Fußgängerübergänge zu Beschleunigungsanweisungen, Abbiege- und Überholverbote zu Geschicklichkeitsermunterungen. Es gilt auch im Straßenverkehr, was wir aus dem Schneesport kennen. Wer als erster da ist, hat gewonnen. Kühnheit schlägt Vorsicht.

Es darf also nicht wundern, dass der Gesundheitsminister, im Versuch, die Gefahren und Gefährdungen des Covid19-Infektionsgeschehens zu vermitteln, zu einem Werkzeug aus dem öffentlichen Raum griff: Der Ampel. Man wäre versucht, dies für eine blendende Idee zu halten, wäre da nicht die österreichische Erkenntnis, dass jede blendende Idee auch eine blede Idee sein kann.

Sehen wir uns den Spielraum an, mit dem die Österreicher die Farben der Verkehrsampel interpretieren: Rot gilt nur, wenn man schon steht. Grün ist völlig unnötig, weil eh alle schon fahren. Und orange macht die Leute nur nervös. Gasgeben ist schon schwer genug.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 29. August 2020.

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