Am Ende des Tages (lauert der Abend)

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 33/2020 am 12. August 2020.

Liebe Frau Andrea, verehrte Comandantina,
in den letzten Jahren wuchert in den Statements von PolitikerInnen aller Couleurs eine beinahe biblisch anmutende Redewendung, die meine Nackenhaare ob des permanenten Sträubens stark strapazieren: „Am Ende des Tages…“. Woher, bitte, kommt sie und seit wann ist sie derart exponentiell im Umlauf?
Herzliche Grüße,
Françoise Guiguet, Wien Mariahilf, per Email

Liebe Françoise,

nach gängigem Verständnis wird unsere Floskel immer dann in Anschlag gebracht, wenn es gilt, einen eskalierenden Sachverhalt oder eine ungünstige Entwicklung relativierend zu kommentieren. „Momentan sieht es schlecht für mich und meine Bande aus“, könnte man einen eilfertigen Message-Kontrollor sagen hören, „aber am Ende des Tages werden wir alle als hochweiße Sauberpersonen dastehen“. Den Anwendungsmöglichkeiten der Phrase sind durch die Phantasie kaum Grenzen gesetzt. Woher aber kommt sie?

Entgegen Ihrer Vermutung kommt die Redewendung nicht aus dem Buch der Bücher. Vielmehr dürfen wir ihren Ursprung in den Heiligen Schriften über Wirtschaft und Wirtschaftsideologie orten. Unser Spruch ist, wie so vieles am hegemonialen Wirtschafts-Sprech unserer Tage aus dem Anglosächsichen ins Deutsche übersiedelt und lautet im Original „at the end of the day“. Vor 1999 wurde keine signifikante Verwendung der Formulierung im Deutschen gefunden. Der Gemeinplatz nahm ab der Jahrtausendwende durch Übersetzungen Fahrt auf und wurde von Wirtschaftsdenkern (und später Politikern) enthusiastisch verteilt. Er appelliert an das kaufmännische Gewissen, das Tagesgeschehen nicht vor der abendlichen Abrechnung zu bewerten. Eine, wenn auch etwas aus der Mode gekommene Plattheit aus dem eigenen Sprachraum wäre die reziproke Weisheit, man solle „den Tag nicht vor dem Abend loben“. Auch im Mutterland des liberalen Wirtschaftens machte sich der Spruch unbeliebt. Die Leser der Daily Mail wählten ihn im Dezember 2009 zur „ärgerlichsten Bürofloskel des Jahres“.

Wie geht es weiter? Wir warten auf die Konjunktur der Synonyme „in einer Nußschale“ (in a nutshell) und „Wenn alles gesagt ist und getan“ (when all is said and done).

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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