Nachrichten aus dem Kanal

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 26/2020 am 24. Juni 2020.

Liebe Frau Andrea,
meine niederösterreichische Oma hat lästige Wühlmäuse, freche Haustiere und manchmal auch bösartige Menschen mit diesem Wort bezeichnet. Das Aussprechen fühlt sich lustig an, die Schreibweise kann ich nur kreativ wiedergeben: Kanölje, ka-’nö-lie, canœuille?
Bitte um Aufklärung. Besten Dank!
Pamina Hofstädter, per Email

Liebe Pamina,

auch die Großmütter in Wien (und in noch größerem Ausmaß die Urgroßmütter) kannten den Begriff. Der derbe Ausdruck bezeichnet in der Regel Strolche, Fallotten, Scharlatane und Defraudanten, Betrüger, Hochstapler, Blender und Preller, Schieber, Fälscher, Bluffer und Schwindler, Fieslinge, Bauernfänger, Taugenichtse und Herumtreiber, kurzum lichtscheues Gesindel aller Art.

Entgegen volksetymologischer Ansicht hat das Wort keinen direkten Bezug zum Kanal (wienerisch Khanäu). Im Wirkungsgebiet der Khanäubrigád (Kanalbrigade), der legendären Polizeitruppe zur Verbrecherverfolgung in den Kanälen regieren die Khanäurama (Kanalräumer), deren Chef-Proponenten liebevoll als Nochdkhenig (Nachtkönige) firmieren. Auch mit spezifischen Nagetieren wie Ratten (wienerisch Khanäurotzn) und Mäusen (Meis) hat unser Begriff nichts zu tun. Tatsächlich kommt das Schimpfwort vom besten Freund des Menschen, dem Hund (lateinisch canis). Das italienische canaglia (Hundemeute) wurde im Französischen zu canaille und von dort als Kanaille ins Deutsche übernommen. Als Bezeichnung für Pack und Pöbel wurde es während der Französische Revolution zu einem Geusenwort, einer Bezeichnung also, die von der ursprünglich beschimpften Personengruppe durch positiven Konnotation zu einer ehrenden Selbstbezeichnung umdeutet wurde. Als Canaille verstanden sich alle, die gegen das Ancien régime kämpften.

Das Wienerische hat die ursprüngliche Bedeutung der Kanaille (Khanäun) bewahrt und transformiert. Der Ausdruck „Au de Khaneulje“verballhornt das Parfüm „Eau de Cologne“ und dehnt es auf liederliche Trägerinnen billiger Duftnoten aus. Für die niedrige Zeitungsschriftstellerei kennt das Wienerische (wie das Berlinerische) den Begriff Schuanäule (Journaille), ein Amalgam aus Journal und Kanaille.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert