Fluchtechnisches über Kruzineser

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 09/2020 zum 26. Februar 2020.

Liebe Frau Andrea,
genau jetzt muss es passieren, so ein Sch…, Kruzineser! Excel wird es wohl wurscht sein, was mir da gerade an Schimpfwörten entfleucht (es geht noch immer nicht). Aber mir, altem Moralapostel, stellt sich die Frage, was ich da von mir gebe. Kruzi, okay, das leuchtet ein. Aber der Rest?
Ich bitte um Aufklärung. Liebe Grüße,
Martin Till, Krems, per Email

Lieber Martin,

der Fluch „Kruzineser“ wird im bairisch-österreichischen Sprachraum synomym mit „Kruzitürken“ verwendet und soll die als gotteslästerlich empfundene Malediktion „Kruzifix“ verhüllen. Weniger gut verhüllt zirkulieren die Flüche Jessas! (Jesus), Jessasmaria! (Jesus, Maria), Marantana! (Maria und ihre Mutter Anna) oder Marantjosef! (Maria, Josef), die allesamt christliches Familienpersonal mobilisieren und eigentlich hilfesuchende Anrufe sind.

Kruzifix (vom lateinischen cruci fixus, ans Kreuz geheftet) erfuhr eine Tabuisierung, weil damit der leidende Christus bezeichnet wird. Ein Symbol, das in jeder Bauernstube, in jedem Klassenzimmer und an vielen Wegkreuzungen als katholisches Mem allgegenwärtig war. In Kirchen und Kapellen sowieso. Die verhüllende Form Kruzitürken ist zusammengesetzt aus den Bezeichnungen für zwei wirkmächtigen Angstproduzenten vergangener Jahrunderte, den Kuruzzen und den Türken (eigentlich den osmanischen Invasionsarmeen). Als Kuruzen, auch Kuruzzen oder Kurutzen (ungarisch kuruczok, slowakisch kuruci, rumänisch curuți), bezeichnen wir die bewaffneten antihabsburgischen Aufständischen im Königreich Ungarn der Jahrzehnte nach 1670. Getragen wurden sie vom verarmten niederen ungarischen Adel und den mit ihnen sympathisierenden Bauern. Das Wort khurudzs ist türkischen Ursprungs und bedeutete Aufständischer, Insurgent. Auch eine Verwandtschaft mit dem türkischen koruyucu (Beschützer) ist denkbar, wenn auch weniger wahrscheinlich.

„Neser“, der zweite Teil unserer Verwünschung „Kruzineser!“ ist eine Verballhornung aus „nese“, ähnlich der besonders in Wien geläufigen Transformation von Chinese zu Chineser.

Wie werden kommende Jahrhunderte fluchen? Vermutlich mit verhüllten Kraftsprüchen aus heutigem Alltag: Maikrosaft! Hammerzon! Sapple!

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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