Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 47/2019 zum 20. November 2019.
Liebe Frau Andrea,
wenn ich es richtig ermesse, ist Wien die Welthauptstadt des Grants. Als Immigrantin habe ich mich erst spät daran gewöhnt. Nun stelle ich an mir selber Anzeichen solcher Gefühlart fest. Nun meine Frage. Darf ich mich gehen lassen, quasi vorsätzlich grantig sein?
Bitte um genaueste Auskunft,
Lara Pellkamm, Bochum und Wien Neubau, per Twitter-Direktmessage
Liebe Lara,
in anderen Gegenden als der Bitterwelt Wiens wäre der Grant eine Sünde wider das Miteinander, in der Stadt der Innenschau-Erkrankten ist er bekannterweise nicht das Leiden, sondern seine Heilung. Wer in Wien grantelt, befindet sich auf der sicheren Seite therapeutischer Sinnstiftung. Der Grant ist tiefgefühlter Ausdruck ehrlichen Ringens um Güte.
Längst widerlegt ist die These, wonach der Grant von den blasierten und übelgelaunten spanischen Granden der Habsburgerzeit komme. Gänzlich uniberisch, hat sich nämlich das oberdeutsche “grennen”, weinen, in der Bezeichnung „Grant“ sedimentiert. Dem schließt sich nach Erkenntnis der Etymologen unser heute noch verwendetes Greinen an, das lautmalerisch dem Weinen ähnelt, und das leise in sich Hineinflennen meint, ursprünglich aber wohl, wie das verwandte Grinsen, jegliche Form des Mundverziehens bezeichnete.
Die Frage, ob vorsätzliches Grantigsein, oder etwas passiver verstanden, das sich Gegehenlassen im Grant erlaubt sei, ja, moralisch legitimierbar, kann eindeutig mit „ja“ beantwortet werden. Sämtliche Gefühlsgenossinnen und Gefühlsgenossen werden hier zustimmen. Selbst den Apologeten enggefasster politischer Korrektheit fiele es schwer, belastbare Kritik zu äußern. Ist doch der Umgang mit anderen Grantigen für Grantige einfacher zu ertragen, als jener mit optimistisch Frohgelaunten. Und nichts kostet mehr an Anstrengung, als sich für Fröhliche und Gutgestimmte zu verstellen, ja auch nur den Anschein von Verständnis für den Frohsinn Ungrantiger zu erwecken. Grantigsein ist keine Rohheit, sondern ein Oszillat aus Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit. Aus Wiener Perspektive sind Gutgelaunte die Agressoren.
Wir fassen zusammen: Einzig der Grant ist Glückes Garant.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina