Verpfeifen mit und ohne Melodie

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 45/2019 zum 6. November 2019.

Hoch geschätzte Frau Andrea,
da stand ich gestern mit meinem Mann am Bahnsteig und pfiff mir eins. Um genau zu sein, den Ohrwurm zum Tag (Auszüge aus Beethovens Violonkonzert). So ganz traf ich den Ton nicht, ist ja auch nicht so leicht, und da stellten wir fest, ich hätte mich soeben „verpfiffen“. Sich selbst kann man ja aber – im eigentlichen Sinn – schwer verpfeifen, jemanden anders „verpfeifen“ heißt aber auch nicht „anzeigen, weil er sich in der Melodie geirrt hätte“? Bitte um Klärung, warum man jemanden ausgerechnet „verpfeift“.
Besten Dank und liebe Grüße,
Sarah Kohlmaier, per Email

Liebe Sarah,

die Kriminalgeschichte nennt kaum Fälle, in denen Intonationsschwäche beim Lippenpfeifen in Strafverfolgung mündete. Gleichwohl dürfen wir bei Melodiepuristen das Bedürfnis nach Sühne und Vergeltung für die Produzenten von Mißtönen feststellen.

Die Ursprünge des Wortes Verpfeifen (im Sinne der Denunziation von Kollegen im Verbrechergewerbe) liegen weitgehend im Dunkel. Altes Rotwelsch ist es nicht, und wenn, ist das zugehörige Lemma bisher unentdeckt geblieben. Die Wortdeuter führen den Ausdruck auf die Pfeif- und Warntöne zurück, mit denen sich Bandenmitglieder untereinander verständig(t)en. Unser Verpfeifen findet aber schon in polizeilichem Gewahrsam, in der Regel während eines Verhörs statt, und bezeichnet das Verraten von Mittätern und Beteiligten. Verwandt mit diesem Verpfeifen ist wohl die sprichwörtliche Abwendung von jemand, also das was auch Nichtverbrecher mit dem Ausdruck „auf jemanden pfeifen“ bezeichnen.

Das Wienerische kennt einen reichen Katalog an Synonymen. Am bekanntesten ist wohl das Verwamsen oder Vermamsen (von jiddisch mammsern, verraten), gefolgt vom Vernadern (von wienerisch Nodarn, Natter, Schlange). Statt jemand zu verraten kann man ihn auch eintunkn(eintunken), audeweln (andippeln), auschdechn (anstechen), fabetssn (verpetzen, von hebräisch pazah, den Mund auftun), fadsíndn (verzünden), fagánsaln (verganserln) und boitan (poltern) lassen (von jiddisch polterbais, Zuchthaus).

Bobos, Hipster und Millenials betätigen sich als Whistleblower, wienerisch Wistlblosa.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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