Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 32/2019 zum 7. August 2019.
Liebe Frau Andrea,
in der Zeit im Bild 2 meinte der ÖVP-General Karl Nehammer, die Schredder-Affäre sei damit zu erklären, dass ÖVPler „gebrannte Kinder“ seien. Was bedeutet das?
Ihr
Walter Maisinger, Wien 8, per Email
Lieber Walter,
in der erwähnten Sendung, die politikbewegte Öffentlichkeit konsumierte sie am Dienstag den 23. Juli 2019, mobilisierte der Generalsekretär der Neuen Volkspartei und Bezirksparteiobmann der ÖVP Hietzing ein sehr altes und europaweit verbreitetes Sprichwort. Das Sprachbild des gebrannten Kindes (welches das Feuer scheue) begleitete Nehammers Argumentation, der Ausbau der „Druckerfestplatten“ sei notwendig gewesen, weil der Regierungswechsel (das Feuer) dies notwendig gemacht habe. Nehammer bezog sich dabei diffus auf das Leaken von Strategiepapieren im Wahlkampf 2017 (offensichtlich das initiale Gebranntsein der ÖVP-Kinder).
Woher kommt unser Sprichwort? Erste Belege tauchen im mittelalterlichen Latein auf, wo es heißt „Homo ustulatus ignem timet“, der gebrannter Mensch fürchtet das Feuer. Diese Variante des Proverbs zirkuliert in den germanischen Sprachen. Dort geht es um Männer (und schließlich Kinder) und ihre Traumaerfahrungen mit Feuer. Andere Sprach- und Kulturräume varieren das Thema und wechseln ins Tierreich. So kennen das Englische, Spanische und Portugiesische die verbrühte Katze, sie sich vor kaltem Wasser fürchtet. Bei den Franzosen fürchtet sie sich übrigens vor dem heißen Wasser und bei den Engländern kann es auch ein verbrühter Hund sein, der kein weiteres Mal in die Küche kommt.
Das Spanische hat es mit den Schatten: Wer von einer Schlange (oder einem Skorpion) gebissen wird, erschrickt sich vor dem Schatten. Dort lauern diese Tiere nämlich. Das Arabische hat noch andere Schlangenerfahrungen. Der dort Gebissene fürchtet das Ziehen des Seils. Kehren wir zum Schmerzerlebnis Hitze zurück. Wer sich einmal an einer Suppe verbrennt, bläst auf die Frucht, sagt man in Spanien. Das schönste Sprachbild liefert das Türkische: Wer sich den Mund mit heißer Milch verbrannt hat, pustet danach auch den Joghurt. Aua.
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