Plattensammlung

„Jedes Schriftl is a Giftl“ lautet ein belastbarer Merkspruch in politischen Kreisen. Dem Aphorismus liegt die als bitter erfahrene Erkenntnis zu Grunde, dass das geschriebene Wort das gesprochene an Schwere übertrifft. Das hat mit gelebter Aktenpraxis zu tun, mit üblicher Vertragstreue und mit der scheinbaren Gültigkeit allen Gedruckten. Gesagtes vergeht, Geschriebenes lässt sich immer wieder abrufen. Parallel zu unserem Sprichwort hat sich daher eine Verlässlichkeitskultur etabliert, die unter dem Thema „Handschlagqualität“ zusammengefasst wird. Wer mit kräftigem und optimalerweise männlichem Händedruck ein Vertragspaket bekräftigt (einen Deal, wie es heute heißt), kann sich vor Trollerei durch Unbeteiligte und Schnüffelattacken aller Art sicher sein. Was nicht geschrieben steht, kann auch nicht gelesen werden. Der Pakt der geschüttelten Hand gilt hierzulande als wertsicherer als jedes Papierl.

Die moderne Technologie hat den Geheimnishoriziont in komplexer Weise aufgelöst. Was einmal digital wurde, bleibt digital. Und schlimmer noch. Geschriebenes, Gesagtes, Getanes bleibt nicht auf den Ort und den Zusammenhang beschränkt, sondern kann in jeder nur befürchtbaren Weise an Unbefugte, sprich: die Öffentlichkeit gelangen. Das ist in privaten Dingen so schlimm, wie in politischen gefürchtet. Aus der Angst vor Kontrollverlust speist sich die Praxis der Datenvernichtung. Was der Aschenbecher von früher war, in dem eine Notiz oder ein belastender Brief verbrannt wurde, ist heute der Schredder. Zeit das Sprichwort abzuwandeln: Jedes File ist ein Beil.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 3. August 2019.

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