Europa momentan

Wenn Europa wählt, wird es regional. Dann tingeln die Wahlwerbenden, parteigestärkt oder alleinunterhaltend durch die Talkshows ihrer Heimatländer, laufen durch die Fußgängerzonen und schütteln Hände. Lachen von Plakaten und schmettern Parolen. Die einen wollen Europa intensivieren, die anderen wollen es dezimieren. Und manche wollen es zerstören. Manche lockt die Zukunft, manche zehren von der Vergangenheit, manche rittern um Spesen, manche dürsten nach Macht. Ein Gutteil ist an beidem uninteressiert und verschwendet die Gedanken an Ideale. Aber welche Ideale wären das?

Liegt der Segen in der Zentrale oder draußen in den Provinzen? Und was ist überhaupt von Segen? Das Reglement oder seine Erosion? Und wer ist überhaupt Europa? Die Wahlberechtigten? Die hier Geborenen? Die hier Lebenden? Sind Istanbul, Moskau und Jerusalem auch europäische Städte? Entsenden wir Abgeordnete oder werden sie von Europa berufen? Und worum geht es eigentlich, um die Wirtschaft, um die Menschen oder um die Umwelt? Und falls es um alle drei ginge, wer wäre wichtiger?

Im europäische Parlament verwirklichen sich Redeathleten und Schweigekünstler. Das Spektrum der Straßburger Möglichkeiten wurde jüngst erweitert. Lasst uns Notre-Dame wieder aufbauen, rief der slowenische Abgeordnete und ehemalige Ministerpäsidenten seines Landes, Lojze Peterle, in der letzten Plenarsitzung vor der Wahl. Dann zückte der fideler Unterkrainer seine kleine Mundharmonika und blies auf ihr die Europahymne „Ode an die Freude“. Auch so geht Europa.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 27.4.2019.

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