Trotz Brexits – Wofür wir die Briten lieben

„Oooorda“ schreit der Mann in der schwarzen Robe und für österreichische Ohren klingt es ein wenig nach „Oida“. Der kehlige Ruf, den John Bercow, Speaker des Unterhauses im Parlament des Vereinigten Königreichs in den Saal schmettert, ist niemals Insult. Vielmehr dient der Schrei der Struktur. „Ooooorda“, in leiserer Variante auch als „Orrda“ oder fragend als „Orda?“zu vernehmen, ist nichts anderes als der Imperativ „Order!“, „Ordnung!“ Ein Zustand, den Herzustellen die Würde des Ortes und der Wert des Anlasses vorgibt. Nichts lieben die Briten mehr als Ordnung. Und nichts können Nichtbriten von den Briten besser lernen als das Prinzip „Ordnung“. Es hat trotz seltsamer Usancen und kruder Formen den modernen Parlamentarismus hervorgebracht, und neben anderen bürokratischen Produkten das größte Weltreich in der Geschichte der Menschheit erzeugt. (Sein Niedergang wird von ordentlichen Briten immens beklagt).

Die Liste der Thronfolgeberechtigten ist wohlgeordnete 5753 Personen lang und umfasst neben der halben lebenden Hocharistokratie auch erstaunlich viele Bürgerliche. Ohne Britische Ordnung hätte es weder James Watt gegeben noch James Bond. Der Kapitalismus wäre eine inneritalienische Angelegenheit und der Liberalismus irgendwas mit Hüten und Fahnen in der Schweiz. Wenn also John Bercow martial-demokratisch zur „Ordnung“ ruft, geht um es mehr als Britannismus. Dann geht es um Struktur. Die ist, das ahnen die Briten, inzwischen ein europäisches Projekt. Deshalb die Aufregung.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 20.4.2019.

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