Zangers Beidl und Bartels Most

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 16/2019 zum 17.4.2019.

Comandantina,
aus aktuellem Anlass haben mein Mann und ich eine Meinungsverschiedenheit: Bezeichnet Beidl den Hodensack oder die Gesamtheit des männlichen Genitals?

Danke vielmals für die Aufklärung,
Johanna Schober, per Email

Liebe Johanna,

vor der Klärung der Frage wollen wir den Anlass für ihre Aktualität in Erinnerung rufen. In der Sitzung des Nationalrats vom 27. März kanalisierte der Knittelfelder FPÖ-Abgeordnete Wolfgang Zanger seinen Unmut gegenüber Arbeitnehmervertretern in derber Form. In seiner Rede zum Einkommensbericht empörte er sich darüber, dass Betriebsräte und Gewerkschafter herumerzählten, der Familienbonus sei „nur ein großer Schmäh der Regierung“. Sein obersteirischer Befund gipfelte im Sager: „Jetzt siegst wenigstns amoi, wos des fia ane Beidln san…“ Die Empörung der Angesprochenen ist noch nicht verebbt. Einen (wenn auch launigen) Ordnungsruf hatte der Mandatar nur von Parteichef Strache kassiert: „Pulitzerpreisverdächtig war die Rede nicht.“ Alt-Nationalratspräsident Andreas Khol, Moralin-Experte der ÖVP, lieferte in einer Fernsehdiskussion schließlich eine entrückte Diagnose: „Beidl“ sei ein zärtlicher Ausdruck.

Was aber bedeutet Beidl nun tatsächlich? In gängiger Lesart wird damit das Gemächt des Mannes beschrieben, im Insultfall sein Inhaber. Leicht ließe sich die Bezeichnung vom Wort „Beutel“ herleiten und damit den Hodensack, das Scrotum hominis meinen. Hier gewinnt ihre Frage an Momentum, ist doch die bursa testium der passive Teil der Funktionseinheit. Experten des Ausdrucks bezeichnen allerdings stets den Penis als Beidl. Wie das? Kommt doch der nationalrätlich zu Unehren gekommene „Beidl“ mit großer Wahrscheinlichkeit vom Beitel, dem Stemm- und Stecheisen. Das Werkzeug zur Holzbearbeitung, mitellhochdeutsch beizel, mittelneudeutsch bitel, beitel kommt von einem inodoeuropäischen *bʰeid- (spalten) und ist sprachlicher Verwandter des Beils. Ein Cousin ist der Bartel (das Eisen) mit dem der Most (rotwelsch Moos, das Geld) geholt wird. Ob Wolfgang Zanger in diese Zusammenhänge eingeweiht ist, müssen andere Instanzen klären.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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