Jeder Mensch von Kultur hat zwei Vaterländer: das seine, und Frankreich – Chaque homme de culture a deux patries: la sienne et la France. Das Zitat stammt von Thomas Jefferson, Gründervater der Vereinigten Staaten, Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung und dritter amerikanischer Präsident. Mit Frankreich meinte er nicht das Land der wuttrunkenen Aufrührer, nicht die sado-narzisstische Nation der Polemiker, sondern das Frankreich der Aufklärung, das Frankreich der Menschenrechte, das Frankreich der Pluralität.
Starker Tobak für das Land zwischen Bodensee und Langer Lacke, das Österreich der Zerrissenheit, das Land der tapferen Täter und der gescholtenen Opfer. Das Land, dem die Österreichsonne, bevor sie in der Kurve von Lambichl untergang, beschieden hatte, eine ideologische Missgeburt zu sein.
Die Patrioten des Landes sehen den Geburtsfehler mittlerweile nüchterner (wenn die Öffentlichkeit zuhört), beziehungsweise angesäuselt wie früher (wenn sie unter sich sind). Die Dialektik ist längst im Dialekt angekommen. These und Antithese synthetisieren sich in der Protothese. Dem faktenfernen Bestehen auf irriger Wahrheit. Was nicht sein soll, ist nicht, was nicht ist, kann noch werden. Wichtig ist dabei die richtige Identität, sprich: die rechte Identität. Ein Glaubensystem, das in der Reinheit das Heil sucht. In Verdrängung der Erkenntnis, dass es weder das eine noch andere gibt, sondern allerhöchstens: Klarheit.
Sollen wir nun alle Franzosen werden? Ja. Zweitidente Kulturfranzosen. Aufgeklärt. Menschengerecht. Plural.
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 13.4.2019.