Schiefer Segen und grantiger Kellner

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 08/2019 zum 20.2.2019.

Liebe Frau Andrea,
Auf Wienbesuch im Kaffeehaus bestelle ich Bier. Der Kellner unwirsch: „Seidenkrüge, Pfiff?“ Ich so: „Stange“. Schon hing der Segen schief. Was habe ich falsch gemacht?
Haben Sie Dank!
Dirk Paschauke, Köln-Rodenkirchen, per Facebook-Direktnachricht

Lieber Dirk,

Der unfreundliche Ober (Kellner amtieren in Gasthäusern) gehört zum Wiener Stadtinventar. Touristen von jenseits des Weißwurstäquators empfinden ungerechten Groll gegen jene wortkarge Befindlichkeit, die als wienerischste aller Gefühlswetterlagen gilt. Der Grant ist tief gefühlter Ausdruck ehrlichen Ringens um Güte. Man hüte sich, befinde man sich in Wien, vor der Lüge der Freundlichkeit. Sie fußt im Leeren und führt zu nichts. Der Ausdruck hat wenig mit den blasierten spanischen Granden der frühen Neuzeit zu tun, kommt er doch vom oberdeutschen „grennen“, weinen. Hier schließt unser heute noch verwendetes Greinen an, das lautmalerisch dem Weinen ähnelt und das leise in sich Hineinflennen meint, ursprünglich aber wohl, wie das verwandte Grinsen, jegliche Form des Mundverziehens bezeichnete.

Was ist inhaltlich schiefgelaufen in Ihrer Konsumations-Konversation? Die Bestellung von Bier war es nicht, denn der Gerstensaft ist Bestandteil jeder Kaffeehaus-Getränkekarte. Irritation löste der Darreichungswunsch aus. Die Wiener Gastronomie kennt die Stange nicht, ist doch das zylindrische Gebinde ausschließlich für die Ausschank von Kölsch vorgesehen. Die schmale Form und das kleinere Fassungsvermögen (0,2l) sind dem Kölner Bier vorbehalten, dessen Schaum weniger stabil ist als der Wiener und in der Stange langsamer zusammenfällt. Wiener Bier wird nicht in „Seidenkrügen“ ausgeschenkt, da haben Sie sich schlicht verhört, sondern im Seidl (0,3l, von lateinisch Situla, Eimerchen) und im Krügerl (0,5l, dem kleinen Krug). Als Pfiff bezeichnen die Wiener jeweils die Hälfte der erwähnten Hohlmasse, weswegen es einen Seidl-Pfiff und einen Krügel-Pfiff gibt. Geht es auch anders? Aber sicher. Im legendären Café Salzgries, es war keine schlechte Adressse für gute Ausdrücke, hätten sie mit „Hopfenkaltschale“ eine passende Bestellung abgegeben.

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Schiefer Segen und grantiger Kellner“

  1. Liebe Comandantina,

    ich bin ob der obigen Beauskunftung an Dirk verwirrt. Mir ist aus eigenen nächtelangen Studien die Gerstenkaltschale bekannt, und auch der Hopfenblütentee. Seit Sedlacek (Wörterbuch des Wienerischen 4. Aufl. 2014) kenne ich auch „Gerstenpago“ (offenes Bier) und „Hopfenweckerl“ (Dosenbier). Naja, gut.

    Aber Hopfenkaltschale? Steht zwar im Duden – aber in Wien? Wird die Hopfenkaltschale da wirklich verwendet?

    Liebe Grüße

    Michael W.

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