Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 47/2018 zum 21.11.2018.
Liebe Frau Andrea,
kommt mir das nur so vor, oder wird Wien zunehmend lauter? Mein Freund sagt, ich bilde mir das nur ein, er merkt nichts. Ich brauche jetzt Argumentationshilfe.
Lieben Dank im Voraus für Ihre Hilfe,
Nina Margotti, Leopoldstadt, per Facebook-Direktnachricht
Liebe Nina,
Empfehlenswertes über unser Thema hat jüngst der Stadtforscher, Historiker und Publizist Peter Payer vorgelegt: „Der Klang der Großstadt/Eine Geschichte des Hörens/Wien 1850-1914“. Darin spürt der Autor vergangenen Tönen und Geräuschen nach: Pferdegetrappel, Wagenrasseln, Signalpfeifen, Tramway-Schienen-Quietschen, Schlachtrinderbrüllen, Dampflok-Fauchen, Kaufrufe und Kirchenglockengeläut sind heute weitgehend verschwundenen. Unverändert hingegen ist der Diskurs über die Stadtgeräusche, ungebrochen akut die Beschwerde über ungewollt Gehörtes, über Lärm, der seine Wörtlichkeit aus dem militärischen „Alarm“ bezieht, dem italienischen Kommando „all’arme“, zu den Waffen“.
Wie subjektiv das Thema die Polarität Stadt-Land transzendiert, mag ein Beispiel aus tiefster Provinz illustrieren. Exilanten aus der Salzkammergut-Gemeinde Hallstatt, an das überlaut polternde Rauschen des heimischen Mühlbachs gewöhnt, finden die „Ruhe“ in Wien unerträglich. Erst im Schutz des Verkehrsrauschens in direkter Gürtelnähe ist an Nächtigen überhaupt zu denken.
Stellvertretend für Ihre Wahrnehmungen mag eine anonyme Stimme stehen, gefunden vor kurzem in einem der sozialen Netzwerke: „Liebe Zugezogene! Ihr müsst nicht schreien in der Stadt. Besonders nicht in Innenhöfen und nachts in der Gasse. Wien ist nicht die heimatliche Alm, nicht die Kleinstadt-Großraumdisco, nicht das Kosovo Polje, der Kursker Bahnhof und nicht der Tahrir. Es ist niemand da, den man jetzt dringend anschreien muss. Nur andere Leute, die Ruhe wollen. Ruhe ist, wenn niemand schreit. Ruhe ist, wenn man die eigenen Gedanken besser hört, als die der anderen. Und noch was: Wenn ihr ein Handy benützt, um nach Hause zu telefonieren oder nach Ottakring, müsst ihr auch nicht schreien. Das Telefon versteht euch auch, wenn ihr normal sprecht. Danke.“ comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina