Antidepressiva

Nebelzeit. Die Welt ist in ein Zwischenreich aus Tag und Nacht getaucht, die Sonne wird verblassende Erinnerung, sogar dem Regen weinen wir nach, der Schnee kommt ja noch, die Kanonen werden gerade gewartet.

In der Nebelzeit 1916 war der Kaiser gestorben, und mit ihm eine ganze Welt. Zwei Jahre hatte es gedauerte, bis sein Reich zerfallen war, der Völkerkerker, wie es hieß, die gute alte Zeit, wie man sagte. Nebelzeit, November, Nachhallwetter. Hundert Jahre sind vergangen, seit die Republik gegründet wurde, ein Staat an den niemand glaubte. Nicht einmal die Gründer. Also richtete sich der Blick nach hinten und innen. Die Demokratie, kaum errungen, wurde bald in die Ecke geworfen, in der Erinnerung an die Autorität eines absoluten Monarchen wurde die Sehnsucht nach einem starken Mann erigiert. Der starke Mann wurde zum Thema des Landes. Wenn er fehlt, wie man befindet, wird nach ihm gerufen. Es kommt dann stets ein kleiner Mann, mal trägt er Federn am Hut, mal Braunes, mal goisert er. Aber Obacht, der starke Mann muss von hier sein, Zutiefstösterreicher, Zurechtösterreicher, Zursacheösterreicher. Wenn er da ist, der starke Mann, macht er sich stark für das Starke. Die Schwachen sind seine Sache nicht. Das merken die Schwachen, die ihn herbeigerufen haben erst spät. Zu spät. Viel zu spät.

Es waren dann die anderen schuld. Die Warner und Vorausblicker, die Schwachmatiker und Opfer. Nebelzeit. Wenn sie nicht von selber kommt, wird sie ins Land geworfen. Mit Granaten. Dann geht der Blick wieder nach innen, Richtung Gemütlichkeit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 17.11.2018.

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