Regierungsnahe Moralkreise haben jüngst für Schulkinder die Integration durch einen verbindlichen Wertekodex gefordert. Das Regelwerk, so die Einzelfalldenker, möge auf den Säulen „Respekt und Gleichberechtigung nach österreichischem Standard“, „Tradition und Werte“ sowie „Sicherheit und Hausverstand“ beruhen. Die Säulenpflege des Wertegebäudes sehe bei Verstößen auch Sanktionen vor, etwa die gestaffelte Reduzierung der Familienbeihilfe der Erziehungsberechtigten und in letzter Konsequenz die Streichung derselben.
Obschon man die Errichtung der Säulenarchitektur ganz genau prüfen wolle, stehe jetzt schon fest, so die Einführungsfordernden, dass verfassungsrechtliche Bedenken oft (und damit auch hier) ein Instrument seien, mit dem man sich leicht aus der Affäre ziehen könne. Der Kodex wolle für alle Schüler gelten, stellte das Säulenkomittee klar, ein Problem mit den hierzulande vorherrschenden Werten sehe man bei österreichischen Kindern nicht.
Das wirft einige Fragen auf. Wird die Gleichberechtigung durch den österreichischen Standard geschmälert oder der österreichische Standard durch die Gleichberechtigung? In welchen Grenzen bewegen sich Respekt und Tradition? In denen vor oder nach 1914, Respektive vor oder nach 1945? Gilt Schengen bei Wertegrenzen? Wie sicher ist der Hausverstand? Und wessen Hausverstand wird mobilisiert? Der gesunde? Der normale? Der Hausverstand des „gelernten Österreichers“? Inkorporiert die Einhaltung von Regeln auch das Ignorieren verfassungsrechtlicher Bedenken, oder gilt das nur für Wertekodexforderer?
Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 27.10.2018.