Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 36/2018 zum 5.9.2018.
Liebe Frau Andrea,
seit Jahren wohne ich im Karmeliterviertel im Zweiten und gehe am dortigen Markt regelmäßig einkaufen. Jetzt hat mir ein grätzeltypischer Einheimischer „einedruckt“, dass der Karmelitermarkt garnicht der Karmelitermarkt sei. Hä?
Mit sehr ratlosen Grüßen,
Senta Piove, Leopoldstadt, per Email
Liebe Senta,
als grätzeluntypische Einheimische kann ich etwas Aufklärung in die Sache bringen. Ich entsinne mich vage, dass vom Markt zwischen Leopoldsgasse und Hollandstraße in meiner Kindheit noch als „Tandelmarkt“ gesprochen wurde. An den Standeln gab es ungewaschene Erdäpfel zu kaufen, Karotten und Häuptelsalat. Ausschließlich. Im Herbst noch Zwetschgen und kleine Äpfel. Dicke Kopftuch-Bäuerinnen ohne Zähne wickelten den Einkauf in Zeitungspapier. An der Ecke gab es eine kleine Fischhalle, in der es absonderlich stank. Dort gab es Heringe zu kaufen, Dosen mit Sardellenringerl, und kurz vor Weihnachten Karpfen. Der wirkliche Tandelmarkt lag indes bis zum Jahr 1944 drüben im Neunten, in einem bazarartigen Hallenbau für 200 Läden, am ehemaligen Roßauer Glacis, zwischen Berggasse und Türkenstraße. 1957 wurde dort die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter errichtet, heute ein Gebäude der Universität Wien. In den Jahrhunderten davor waren die Tandelmärkte auf der Brandstätte abgehalten worden, und schließlich abwechselnd vor dem Kärntner Tor und in der Leopoldstadt. Allerdings nicht auf dem heutigen Marktgelände, sondern auf dem Platz vor der barocken Karmeliterkirche, direkt an der Taborstraße. Ein ab 1671 abgehaltener Wochenmarkt für Lebensmittel und Vieh hieß dann geographisch konsistent Karmelitermarkt. Dieser Markt bestand bis 1888, die Standbesitzer übersiedelten in die nahegelegene Karmelitergasse. Seit 1910 befindet sich der Markt auf dem heutigen Platz zwischen den Straßenzügen Haid-, Leopolds-, Krummbaumgasse und „Im Werd“. Eine amtliche Bezeichnung für den Platz existiert bis heute nicht. Kommunale Vorschläge wie Karl-Meissl-Platz, Krasnik-Platz, Niebauer-Platz, Hindenburg-Platz, Oppenberger-Platz wurden ebensowenig realisiert wie der Flurname „Gstetten im Werd“.
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