Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 25/2018 zum 20.6.2018.
Liebe Comandantina,
in unserem Freundeszirkel hat sich ein Disput verdichtet, der um die Frage kreist, ob man ein gekauftes Buch auslesen müsse, wie bitter das auch sei, oder ob das Beenden der Lektüre jederzeit möglich sein müsse. Einerseits wäre jedes Urteil nach Gesamtlektüre nur scheinbar profund, andererseit das Nichtweiterlesen Verrat an Werk und AutorIn. Was meinen Sie?
Ich grüße Sie lieb,
Lisette Reiterer, Klosterneuburg, per Email
Liebe Lisette,
diese Frage erreicht uns mit wiederkehrender Häufigkeit. Wieviel dürfen wir wissen, um zu meinen? Wieviel dürfen wir ahnen, um zu wissen? Wie dick ist der Teig, hinter dem das Schlaraffenland der Expertise wartet? Wir wollen wissenschaftliche Redlichkeit von journalistischer Genauigkeit und diese vom persönlichen Anspruch auf Ökonomisierung der Leselust scheiden. Die Übergänge sind nicht selten fließend. Ein paar Regel scheinen gutes Gelingen zu verprechen: Wichtiges zuerst. Spannendes zuerst. Gutes zuerst. Unbekanntes von Bekannten nach Bekanntem von Unbekannten. Gut Rezensiertes nur nach verlässlicher Qualitätswürdigung der Rezensierenden. Zero Tolerance nach Geheimtipps, die in die Hose gingen.
Nun zu Ihrer eigentlichen Frage. Selbstverständlich darf ein Buch vor Gesamtlektüre ausgeschieden werden. Wenn es den Ansprüchen nicht genügt, die wir an seine Lektüre legen. Wenn es mit Falschem und Fadem nervt oder generell ermüdet. Wenn es uns unglücklich macht und uns Zeit für Wichtigeres raubt. Besseres nämlich.
Viellesende auf dem Gebiet der Lektüre von unverfilmten Originaldrehbüchern Unbekannter treffen eine Vorauswahl nach der 10-5-Regel. Sie lesen die ersten zehn Seiten (die Exposition) und die letzten fünf (das Finale). Vermag das Script hier zu fesseln, bekommt das ganze Buch eine Chance. Dieses Verfahren wäre auch günstig bei Romanen, spoilerte man dabei nicht den Plot.
Radikale Lösungen sind ingesamt nicht die schlechtesten, Milde gegen den Text in der Regel Schwäche der Lesenden, die stets bestraft wird. Falls Besuchende unserer Bibliotheken wissen wollen, ob wir denn alle Bücher gelesen haben: „Nur die Guten“, antworte man dann. Experten werden uns als ihresgleich erkennen.
comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina