Die österreichische Allergie

Die Österreicherin und der Österreicher sind nach eigenem Dafürhalten kerngesund. Der eine oder andere hat ein Wehwechen, meist der winterlichen Freizeit am Hang geschuldet, ein gezerrtes Band, ein Nagerl im Sprunggelenk, eine Platte im Schienbein. Kleine Sachen, die das Leben nicht weiter beeinträchtigen, man fährt ja Sport-Utility-Vehicle. Der hohe Blutdruck? Ein Zeichen der Lebensfreude. Auch die Leber frohlockt, sie wächst mit ihren Aufgaben. Im Herzen sind der Österreicher und die Österreicherin von athletischer Kondition, wenn wer gehetzt wird, dann andere. Man ist weder dünn noch ausgemergelt, rosige Wangen deuten auf Spannkraft am Bauch. Wer zum Ärger neigt, hat allerhöchstens ein paar Magenfalten. Am Ahnl, es darf schon schwerer hören, zupft zart das Zipperlein (und die slowakische Ganztagshilfe). Wir sind gesund. Wer, wenn nicht wir!

Wäre da nicht die Allergie. Betroffene wagen kaum, darüber zu sprechen, sie müssen ihre geschwollenen Kehlen schonen und brauchen Zeit und Muße, um die roten Nasen zu putzen. Aus zugewachsenen Augen betrachten sie eine Welt, die aus Migration besteht. Von überall nähert sich der Feind. Aus Erle, Hasel, Birke, Gras! Die Zahnpasta ist vom Mikroplastik verseucht, das Wasser vom Nitrat, die Luft vom Feinstaub! Im Essen lauern Lactose und Gluten, die Pein aus Nuß und Meeresgetier. Sie fordern den Darm, blähen, pressen, fallen durch. Zwingen halb Österreich auf den Keramikthron.

Sprechen wir darüber. Beenden wir das Schweigen. Österreich ist allergisch.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 26.5.2018.

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