Kleiner Knigge des Manspreadings

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 20/2018 zum 16.5.2018.

Liebe Frau Andrea,
Sie kennen das sicher: Männer, die in der U-Bahn provokant breitbeinig sitzen, und es anderen Passagieren unmöglich machen, neben ihnen Platz zu nehmen. Wie kann man diese Unsitte eindämmen?
Mit lieben Grüßen, Ihre ratsuchende
Eva Schwarzdörfler, Brigittenau, per Email

Liebe Eva,
das Phänomen ist kulturübergreifend bekannt und besonders für Metropolen und deren Nahverkehr untersucht und beschrieben. Allgemein hat sich für das breitbeinige Sitzen von Männern auf Sitzbänken von U-Bahnen und Bussen das Schachtelwort „Manspreading“ etabliert, zusammengesetzt aus man (Mann) und -spreading (spreizen). Aus feministischer Perspektive wird diese Körperhaltung als Imponiergehabe und Machogehabe abgelehnt. Männergutfinder haben darauf geantwortet, die männliche Anatomie erlaube keine andere Sitzposition. Die Sportwissenschaft sieht keine Evidenzen für diesen Befund. Vielmehr, hier klinkt sich die Psychologie ein, sei das Verhalten kulturell geprägt und weitgehend anerzogen. Frauen schaffen sich allerdings auch Freiräume in öffentlichen Verkehrsmitteln. So firmiert das Abstellen von Taschen und Einkaufssäcken auf Nebensitzen unter dem Neologismus „She-Bagging“. Es dient in körperlich weniger drastischer Form ebenfalls der Schaffung von Zusatzraum.

Gibt es Möglichkeiten, hier dialogisch einzugreifen? Gewiss. Die nun folgenden Interventionsbeispiele sollten nur von nahkampfgeschulten Frauen und körperlich souveränen Männern in Stellung gebracht werden. Hier einige Ideen: Fotografieren sie den Spreader mit den Worten „Wow, 110 Grad Winkelöffnung, das wird der Bringer heute auf Insta!“ Sagen sie laut und deutlich, mit anerkennendem Blick: „Schöner Beidel, Señor, hat ihnen das heute schon wer gesagt?“ Rufen sie den Spreizer höflich, aber bestimmt zur Mitarbeit auf: „Ich muss mal kurz in den anderen Wagenteil, können sie meinen Sitzplatz kurz mit ihren Schenkeln bewachen?“ Stoischen empfehle ich die Formeln „Sie sind Artist, ich sehe es sofort“, und „Der Geruch, der ihrer Mitte entsteigt, nötigt mir derb Poetisches ab.“ Gemein hingegen wären Aufforderungen sportlicher Art: „Oida, das geht besser. Mein Mann kann fast Spagat.“

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

Ein Gedanke zu „Kleiner Knigge des Manspreadings“

  1. Geschätzte Commandantina,
    mit Freude habe ich nach einer langen, allein an einem Vierertisch im Großraumabteil des Railjets verbrachten Zugreise (lustvolles Spreading/Bagging-Mashup in Tateinheit mit fast leerem Waggon) Ihre aktuelle Kolumne gelesen; vor allem die Tatsache, dass Sie neben dem gern und nicht zu unrecht gedissten Manspreading auch das gefühlt weniger häufig öffentlich debattierte Shebagging ansprechen, erfüllt mich mit Glück.

    Eine Frage habe ich noch dazu: wie nennt man korrekt und warum spricht man nie über das ignorante Obwohlderfensterplatzinderbummvollenbimfreiistamgangplatzsitzing aka Nichtreinrücking, das, wenn mich meine Wahrnehmungen nicht trügen, besonders gern von Frauen über 50 praktiziert wird? Haben die eine Lobby?

    Da ich selbst wenig platzsparend konstruiert bin, verfalle ich gern in die Unsitte des Manspreading, allerdings fast nie in der von Ihnen inkriminierten breitbeinigen Version, sondern meist quer zur Fahrtrichtung mit übergeschlagenen Beinen.

    In allen Fällen, sowohl auf der Täter- wie auf der Opferseite, hat sich, im Kontrast zu Ihren Empfehlungen, ein knappes, aber höfliches „Ist hier noch frei?“ sehr bewährt. Es wirkt hervorragend, erspart sowohl aggressive und/oder beleidigende Wortwechsel als auch ermüdende Prinzipiendebatten und das Aufstellen von Verhaltensregeln. Ist nicht sehr wienerisch, ich weiß, aber dafür kann man solches Benehmen mit der schönen Vokabel „Sozialkompetenz“ adeln.

    mit herzlichen Grüßen
    R.S.

    PS: Eine besonders schöne Variante des Manspreading ist mir vor wenigen Jahrzehnten ebenfalls beim Zugfahren begegnet. Ein hierzulande weltberühmter, aus dem steirischen Salzkammergut stammender Schauspieler, spreadete seine Extremitäten, vor allem aber seine bühnengestählte Aura, dermaßen quer durch den gesamten Speisewagen, dass dort, nebst seinem Ego, nur noch ein etwas bedröppelt dreinblickender Kellner Platz hatte.
    Dabei glaubte ich in seinem Blick neben dem Triumph über die souveräne Raumbeherrschung auch ein Tröpfchen Einsamkeit und einen Hauch Bedauern über die verpasste Chance einer Speisewagenparty mit wildfremdem Publikum zu erkennen. Aber das mag Einbildung gewesen sein.

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