Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 18/2018 zum 2.5.2018.
Liebe Frau Andrea,
wenn im Fitnesscenter ein Gerät besetzt ist, frage ich den Trainierenden: Wie lange noch? Er antwortet: Zwei Sätze. Weil ich Dichter bin und heiter, lach ich und frag mich, welche Sätze? Lange Sätze, kurze Sätze, schöne Sätze, und weiß: Er meint eine Übung am Gerät, die 15 mal wiederholt wird. In der Autowerkstatt sage ich: Einen neuen Satz Reifen! Sofort weiß der Mechaniker, was gemeint ist. Im Sport gibt es Spiel, Satz, Sieg. Inwieweit haben diese Beispiele mit grammatikalisch vollständigen Sätzen zu tun?
Bussi, Dein Dich verehrender
Stephan Eibel Erzberg, per Email
Lieber Meister Stephan,
wir wollen die Komplexität des Themas mit einer Passage aus dem Tractatus logico-philosophicus des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein illustrieren: „Der Satz kann die logische Form nicht darstellen, sie spiegelt sich in ihm. Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen. Was sich in der Sprache ausdrückt, können wir nicht durch sie ausdrücken. Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.“ (T, 4.121).
Wie bringen wir des Dichters Satz, den Reifensatz, den Satz im Sport in diesen Überlegungen unter? Der „Satz“ existiert als Wort seit dem 10. Jahrhundert. Er schrieb sich im Althochdeutschen „saz“, wurde in der Bedeutung „Stellung, Lage“ gebraucht und war das Abstraktum zu „sitzen“. In der Bedeutung „Sprung“, „Ausspruch“ dürfen wir ihn als „das Gesetzte“ verstehen, eine Rückbildung zu „setzen“. Ob der „Satz“ schon vor der Erfindung des Buchdrucks, also des Setzens von Lettern, in der uns heute vertrauten Bedeutung verwendet wurde, geht aus den uns zugänglichen etymologischen Quellen nicht schlüssig hervor.
Weder Mechaniker noch Sportbewegte strengen diese Überlegungen im Alltag an, notabene beide Rückübersetzungen aus dem Englischen verwenden. Bezeichnet das „Set“ im Sinne von „Kollektion“, „Sammlung“ doch Dinge und Abläufe, die einer bestimmten Aufgabe dienen. Zusammengehörige Tischdeckchen können solch ein Set sein, die Winterreifen Deines Sportwagens, und die Sätze eines Spiels.
Dass die hier erörterten semantischen Unschärfen Dichter und Denker verwirren, ist begreiflich.
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