Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 10/2018 zum 7.3.2018.
Liebe Frau Andrea,
im Wiener Biedermeier bedeutete die Redensart „da hat’s an Faden“: da
ist etwas faul, da wird nichts draus, heute bedeutet diese Wendung: es
ist eiskalt. Ich verstehe nicht, wie es zu dieser Bedeutungsänderung
gekommen ist. Sie haben auf Twitter angedeutet, Sie hätten des Rätsels
Lösung.
Ich bin auf Ihre Antwort gespannt,
Gerald Krieghofer, Unterdöbling, per Twitter und Email
Lieber Gerald,
wenn die Wiener zum Ausdruck bringen wollen, es sei kalt, ja bitterkalt, sagen sie, es habe einen „Zapfen“ oder einen „Faden“. Nun ist der Zapfen recht einfach als Eiszapfen zu verstehen. Wie aber kommt der Faden in die Kälte? Privatetymologen wie Fachkräfte auf dem Gebiet haben allerlei interessante Deutungsversuche unternommen. So soll der Faden (wienerisch Foodn) vom Nestroyschen „starken Hindernis“ kommen, das es zu überwinden gelte, und sich später, bedeutungsverengend auf die Kälte (im Burgenland gar auf die Hitze) übertragen haben. Anatomienahe erklären uns das Wort mit dem sich durch Kälte bildenden Rotzglöckerl oder dem zum Faden gefrierenden Harnstrahl. Ähnlich technoidem Ansatz folgt der Deutungsversuch, der den dünnen Flüssigkeitsfaden im Thermometer oder die dünnen Markierungsstriche auf dessen Skala bemüht. Schließlich wird die Kälte vom Adjektiv „fad“ abgeleitet: „Da hat’s an Faden“ hieße demnach soviel wie „Es gibt hier jemand, dem (oder der) langweilig ist.“ Einigkeit herrscht nur über die Bedeutung des Fadens, er ist synonym mit der Kälte. Woher kommt also der Faden nun wirklich?
Wie so viele Begriffe aus dem Alltagswienerisch kommt der Begriff aus dem Rotwelschen, der Sprache der Gauner und Vaganten. Die hat sehr viele sprachliche Einflüsse verarbeitet, in unserem Fall solche aus dem Romani. In Siegmund A. Wolfs „Wörterbuch des Rotwelschen“ (Mannheim 1956) ist das Lemma „Fadin“, soviel wie „Frost“ gelistet. In Anton Jaroslaw Puchmayers „Románi Cib“, Grammatik und Wörterbuch der „Zigeuner Sprache“ (Prag, 1820) erfahren wir Näheres über den Faden: Demnach bedeutet das romasprachliche Verb „fadínav“ „ich (er)friere“, und das Adjektiv „fadindo“ „erfroren“. Wir studieren weiter.
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