Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 44/2017 zum 31.10.2017.
Liebe Frau Andrea,
wieso heißen die Nichtreichen so wie unsere oberen Gliedmaßen?
Danke und herzlichst
Jessy Scheibenpflug, per Email
Liebe Jessy,
der Arm, der an unseren Schultern ansetzt, ist entwicklungsgeschichtlich ein Cousin unserer Beine und war zur Zeit unserer frühen Vorfahren, der Fische, noch eine schlichte Flosse. Das Bauprinzip dieser fächerförmigen Ruderwerkzeuge hat sich über all die Jahrmillionen erhalten. Ein einzelner Knorpel oder Knochenstummel verzweigt sich an einer beweglichen Verdickung in einen Doppelarm, dieser an der nächsten Verdickung in drei, die wiederum in vier, bis am Ende des Flossenfächers meist fünf Strahlen, unsere heutigen Finger, sitzen. Aus den Verdickungen an den Verzweigungen der Strahlen wurden im Laufe der Evolution von Flossen zu Gliedmaßen unsere Gelenke. Erst die Mechanik bei der Überkreuzung von Elle und Speiche hat den frühen Amphibien die Bewegung an Land ermöglicht. Mit starren Gliedmaßen ohne Aufspaltung in doppelknochige Unterarme und -beine, Zehen und Finger hätten unsere Vorfahren den Landgang nicht überstanden und uns gäbe es nicht: Kein Arm, kein Landgang, kein Arm, keine Menschheit.
Der Name der Extremität, an der unsere Hände hängen, kommt von der indoeuropäischen Wurzel „are“, was so viel wie „fügen“ bedeutet. Der Arm hat aber auch martialische Bedeutung. Aus der gleichen Wurzel wie Arm stammt das lateinische „arma“, die Waffe. Eine Menge Arme kann eine Menge „arma“ tragen und eine „Armee“ bilden. Damit lassen sich Eroberungsfeldzüge organisieren, die in ein Imperium, ein Reich münden. Das Gegenteil von Reichsein ist Armsein. Arm (als Gegenteil von reich) leitet sich von jener sprachlichen Wurzel her, die uns Worte wie Erbe und Arbeit vermittelt hat.
Fassen wir zusammen. Kein Reich ohne Armee. Keine Armee ohne Arme, keine Arme ohne Armut, keine Armut ohne Reichtum, kein Reichtum ohne Reich. Und alles nur, weil die Natur jenen amphibischen Quastenflossern, die als Erste ihre feuchten Fischleiber an Land stemmten, einen kleinen Vorteil gegenüber jenen Mitschwimmern gewährte, deren Flossen zu kurz waren, um als Arme und Beine Karriere zu machen.
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