Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 34/2017 zum 23.8.2017.
Liebe Frau Andrea,
Für stark alkoholisierte Personen gibt es in Wien die Bezeichnungen „fett wie ein Radi“ und „fett wie ein Radierer“, die offenbar den selben Ursprung haben. Welcher Ausdruck ist bitte der ursprüngliche und woher kommt er?
Liebe Grüße, Arnold Zwettler,
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Lieber Arnold,
für das Betrunkensein, die chronische oder akute Entrückung durch Alkoholika, hat Wien eine Vielzahl von Einrichtungen etabliert. Den Heurigen, den Biergarten, das Wirtshaus, das Beisl, das Tschocherl, den Brandtweiner oder „Brandinesa“, die Prosecco-Hittn, das Punsch-Standl, den Würstelstand. Unser Ausdruck „fett wie ein Radi“ kommt indes nicht aus einer der genannten Institutionen. Zwar reicht man im Biergarten Radi (Rettich, von lateinisch „radix“, Wurzel) – eine bitter-herbe Rübe, die im gesalzenen Zustand saftelt wie ein Betrunkener – eine schlüssige Etymologie unseres Ausdrucks lässt sich damit nicht zusammenbasteln.
Sehen wir uns in einer anderen gastronomischen Anstalt um, dem Kaffeehaus. In glücklicheren Zeiten wurde hier ganz selbstverständlich und institutionell Billiard gespielt. Und zum Kaffee (oder an seiner statt) auch Höherprotzentiges gereicht. „Fett“ zu sein, oder exakter „in der Fettn“ zu sein hat sich einerseits mit dem Zustand des „Fetzens“, des Rausches verbunden, andererseits mit dem Bild eines „fetten Radierers“, jenes Schreibutensils, mit dem sich Bleistiftnotate wegrubbeln lassen. Die „Fettn“ des Rausches aber hat gar nichts mit dem Korrekturgummi zu tun. Sie kommt aus der Sprache der Karambol-Spieler, die im Kaffeehaus ihrer Billiardleidenschaft (und dem Laster der Intoxikation) nachgingen. „Fett“, zu sein, also betrunken, kommt vom französischen „effet“, dem Effet der Billardspieler. Damit wird jene Eigenrotation bezeichnet, die angespielte Kugeln, je nach Spin, in Bögen kürzer oder länger laufen lässt. Von diesem, im Wienerischen „Fettn“ genannten Taumeln der Kugeln zum Taumeln der Alkoholisierten sind es nur ein paar Flascherl Bier, der eine oder andere Schwenker Cognac und die Abendration an Klarem in kleinen Gläsern. Touché!
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